Kontroverse um Biljana Plavsic
Der überwiegend aus Künstlern und Wissenschaftlern zusammengesetzte Senat der Republika Srpska hat angesichts der Verfassungskrise seine sofortige Einberufung durch Präsidentin Plavsic verlangt. Das wurde ignoriert. In der Belgrader Zeitung Nedeljni Telegrafy äußerte das Senatsmitglied Kosta Cakovski seine Überlegungen über die Aktivitäten der Präsidentin, deren Verfassungsmäßigkeit derzeit vom Verfassungsgericht in Pale überprüft wird. jW dokumentiert einige Passagen dieses Artikels in der Übersetzung von Hans-Joachim Kahlke.
»Den ersten Akt in dieser dramatischen Entwicklung bildet die Entscheidung der Präsidentin, den Minister für innere Angelegenheiten zu suspendieren. Dieser Akt ist verfassungswidrig, denn nach der Verfassung der Republika Srpska bestimmt ausschließlich die Nationalversammlung einen Kandidaten zum Minister oder beruft diesen ab, und zwar durch Wahl bzw. durch eine Vertrauensabstimmung über die Regierung. Der Präsident der Republik kann außerdem dem Regierungschef vorschlagen, einen Minister auszuwechseln (Artikel 94 der Verfassung der Republika Srpska) und darüber die Nationalversammlung in Kentnis setzen, aber der Präsident der Republik ist von der Verfassung nicht dazu bevollmächtigt, daß er selbst Minister suspendiert, auswechselt oder ernennt.
Der zweite, viel weiterreichende Akt, dessen Verfassungsmäßigkeit umstritten ist, liegt in der Entscheidung der Präsidentin der Republik, die Nationalversammlung aufzulösen. Dieses Recht an sich ist nicht umstritten. Gemäß Artikel 72 Abs 7 kann der Präsident nach Anhörung der Meinung des Regierungschefs und der Nationalversammlung entscheiden, daß die Nationalversammlung aufzulösen ist. Die erwähnte Entscheidung weist aber in zweifacher Hinsicht eine Fehlerhaftigkeit auf: zum einen in verfahrensmäßiger, zum anderen in inhaltlicher Hinsicht.
Nach meinen Informationen hat die Präsidentin zunächst einfach per Fax nach der Meinung des Regierungschefs und des Präsidenten der Nationalversammlung gefragt, und als die Antwort nicht umgehend zurückgefaxt wurde, die Entscheidung über die Auflösung getroffen, ohne die Meinung der Repräsentanten dieser beiden Staatsorgane angehört zu haben. Nach meiner Einschätzung ist eine solche Verfahrensweise nicht statthaft, da es ja Sinn der erwähnten Verfassungsregelung ist, daß die Meinung der beiden Repräsentanten nicht einfach nur erfragt, sondern tatsächlich angehört wird.
Viel schwerwiegender ist die Frage der inhaltlichen Verfassungsmäßigkeit dieser konkreten Entscheidung der Präsidentin. Eine solche Entscheidung zu treffen, stellt nämlich einen jener politischen Hoheitsakte dar, für die die Verfassung nur das dafür verantwortliche Organ benennt, nicht jedoch die Voraussetzungen, aufgrund derer sie getroffen werden kann.
Gleichgelagert sind insoweit etwa Hoheitsakte wie die Erklärung des Ausnahme- oder des Kriegszustandes, Verfügungen mit Gesetzeskraft und die Außerkraftsetzung einzelner Verfassungsbestimmungen für die Zeit eines Kriegszustands oder einer unmittelbar drohenden Kriegsgefahr. Der Umstand, daß für derartige Hoheitsakte nur die Zuständigkeit und das Verfahren ihres Erlasses explizit geregelt sind, bedeutet jedoch keineswegs, daß solche Hoheitsakte aus jedem beliebigen Grund heraus erlassen werden können.«
(jW)
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