Berliner Verlegerin holt sich Anregungen für ihre Arbeit aus der täglichen Zeitungslektüre. Ein Gespräch mit Simone Barrientos Krauss
Interview: Gitta Düperthal
Simone Barrientos Krauss
Simone Barrientos Krauss betreibt den Verlag
»Kulturmaschinen« in Berlin, kennt die junge Welt noch
aus DDR-Zeiten
Sie lesen die junge Welt auch deshalb, weil sie Berichte
veröffentlicht, die Sie bei Ihrer Tätigkeit als
Verlegerin inspirieren – wie muß man das
verstehen?
Die Zeitung ist interessant, weil sie Autorinnen und Autoren aus
der DDR und deren Kultur nicht negiert – anders als
bürgerliche Medien, die alles, was aus der DDR kam,
totschweigen und unter den Teppich kehren. Man tut so, als
hätte es gar keine Kultur gegeben. Das ist zum einen nicht
wahr; und zum anderen eine Sauerei. Ich versuche mit meiner Arbeit
dagegen zu halten, indem ich unter anderem DDR-Autoren verlege, zum
Beispiel Peter Abraham, der früher eine Millionenauflage im
Kinderbuchbereich hatte, aber auch Erwachsenen-Bücher
schreibt. Zur Wendezeit wurden Werke, wie diese zwar gedruckt, aber
dann eingestampft. Bei der jungen Welt kann ich mich darauf
verlassen, daß nicht so getan wird, als hätte es all das
gar nicht gegeben.
Welches Bild wird in den von Ihnen erwähnten
bürgerlichen Blättern dargestellt?
Viele Nachrichten aus der DDR werden unterdrückt –
werden sie erwähnt, dann nur so, wie sie in den Kram passen:
Stets ist nur von DDR-Feinden oder Dissidenten die Rede. In der
bürgerlichen Presse ist nicht denkbar, daß es
DDR-Kulturschaffende gab, die zwar mit dem Staat nicht
vollständig einverstanden waren, aber auch nicht dagegen
kämpften – Künstler, die versucht haben, das System
von innen zu ändern. Zum Beispiel der verstorbene
DDR-Schriftsteller Erich Köhler, geboren 1928, Autor des
Romans »Sture und das deutsche Herz«. Das Buch wurde
nicht ausgeliefert. Die bürgerliche Presse hat ein Riesenthema
aus seiner IM-Tätigkeit gemacht, aber seine Literatur
totgeschwiegen. Dabei war Köhlers Wirken als IM vergleichbar
mit der Heiner Müllers: Er hat keine Biographien
zerstört.
In welcher Weise berichtet junge Welt
anders?
Zum Beispiel vermerkt die junge Welt kritisch, wenn bei
historischen Kunstausstellungen die Kunst der DDR außen vor
bleibt. Auch die Lateinamerikapolitik wird völlig anders
thematisiert als in bürgerlichen Medien, beispielsweise in den
Berichten über Kuba und Venezuela. Mir ist wichtig, daß
junge Welt gelesen wird, damit diese andere Sichtweise wahrgenommen
wird.
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