Hanf - die verkannte Pflanze
Von Thilo ChristophersenRund 10 000 Menschen werden heute in Berlin zur Hanfparade erwartet. Die Zahl derer, die ihre Lieblingspflanze nicht länger diskriminiert sehen wollen, wächst beständig.
Hanf, oder Cannabis sativa, wie der wissenschaftliche Name lautet, den der schwedische Naturforscher Carl v. Linné dem Gewächs im 18. Jahrhundert gab, ist eine uralte Kulturpflanze. Ihre zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten stehen im absoluten Gegensatz zu ihrer mangelnden Akzeptanz bei den meisten Konservativen.
»Cannabis, der Mörder unserer Kinder«, war der Titel eines amerikanischen »Aufklärungsbuches« aus den 40er Jahren. Seitdem ist die Pflanze, die den psychoaktiven Wirkstoff THC enthält, zum Sündenbock in der westlichen Gesellschaft erklärt worden. Cannabis wurde gleichzeitig als schlimmste Droge schlechthin und als Einstiegsdroge für Heroin oder Kokain bezeichnet. Dieser Widerspruch macht deutlich, daß es bei der Verteufelung des Hanfes eher um mißglückte Erklärungen für soziale Probleme geht.
Auf der Strecke blieben bei der Pauschalverurteilung auch die zahlreichen nützlichen Anwendungen von Hanf. Als Faserpflanze, die bis zu vier Meter groß wird, liefert sie den Rohstoff für Textilien und Papier. Sogar ein Auto stellte Henry Ford aus den stabilen Sklerenchymfasern der Pflanzen her. Besonders wichtig sind die medizinischen Verwendungsmöglichkeiten des Cannabis, vor allem für die Appetitsteigerung bei der Behandlung von Aids-Patienten. Auch die breite medizinische Anwendung des Schlafmohnextraktes Opium fiel im letzten Jahrhundert in Amerika einer Massenhysterie zum Opfer - es herrschte damals eine antichinesischen Stimmung. Dabei zählt Opium zu den Schmerzmitteln mit den geringsten Nebenwirkungen.
Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde Hanf auf deutschen Äckern häufig angebaut. Besonders an sumpfigen Standorten war die Ernte der feuchtigkeitsliebenden Art erfolgreich. Mit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes am 1. März letzten Jahres wurde der Anbau THC-armen Hanfes wieder zugelassen, wenn auch eingeschränkt. Die Bauern erhalten von der EU sogar eine Prämie von rund 1 500 Mark pro Hektar Hanfanbaufläche, allerdings nur, wenn auch die Abnahme der Ernte gesichert ist.
Diese Entwicklung möchten die Teilnehmer der Hanfparade fördern. Sie wollen mit ihrer Demonstration, die am heutigen Sonnabend um 14 Uhr am Ernst-Reuter-Platz in Berlin beginnt, ein unübersehbares Zeichen setzen für die ökologische Erneuerung unseres Systems.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Inland
-
PDS im kosmischen Wahl-Krampf
vom 23.08.1997 -
Berliner Wagenburg muß umziehen
vom 23.08.1997 -
Da hilft kein Gott, kein Kinkel noch Tribun
vom 23.08.1997 -
Werben mit starkem Staat
vom 23.08.1997 -
Berlinerin verschollen in türkischen Gefängnissen
vom 23.08.1997