Rechter Todesschütze ohne »Notwehr«
Der wegen Mordes an einem Polizisten und Mordversuchs an einem Buchhändler angeklagte Kay Diesner ist am Freitag schwer belastet worden. Der überlebender Polizist sagte vor dem Lübecker Landgericht aus, auf dem Autobahnparkplatz Roseburg zwischen Hamburg und Berlin habe der Angeklagte nicht in der von ihm selbst erklärten »Notwehrsituation« gehandelt, sondern zuerst geschossen. »Er stand plötzlich vor unserem Wagen und hat einfach geschossen - ich sah nur den Lauf dieses Riesengewehres«, schilderte der Polizeiobermeister am vierten Prozeßtag den Überfall vom 23. Februar, bei dem sein Kollege auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens tödlich getroffen wurde.
Damit widersprach der damals schwer verletzte Beamte den Darstellungen des Rechtsextremisten vom ersten Verhandlungstag. Kay Diesner hatte die Tat - wie auch den Überfall auf den Berliner Buchhändler Klaus Baltruscheit - zwar gestanden, zugleich aber behauptet, auf ihn sei zuerst geschossen worden.
Der überlebende Streifenpolizist, der nach zwei Schüssen durch die geschlossene Scheibe der Beifahrertür von Glassplittern im Gesicht und von einem Geschoßsplitter getroffen wurde, war nach eigenen Angaben panikartig aus dem Fahrzeug geflohen, hatte ein Auto angehalten und sich zur Station der Autobahnpolizei fahren lassen - eine Reaktion, über die er sich bis zum heutigen Tag die schwersten Vorwürfe macht: »Ich hätte meinen Kollegen beschützen müssen«. Mit der Schwester und der Mutter des erschossenen Beamten sowie dem Buchhändler vertritt der Polizist die Nebenklage.
Detailliert schilderte der Notarzt den Kampf der Ärzte und Sanitäter um das Leben des schwer verletzten Beamten. »Das Herz setzte mehrfach aus, er hat Unmengen an Blut verloren, die durch Sauerstoffmangel verursachten Gehirnschäden wären vermutlich irreparabel gewesen«, sagte der Zeuge. Der 34jährige Polizist war nach rund 30 Minuten im Geesthachter Krankenkaus gestorben. Der Prozeß wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt.
Der Angeklagte, ein 24jähriger gelernter Feinmechaniker, bezeichnet sich selbst als Mitglied der rechtsextremen Bewegung »Weißer Arischer Widerstand.« Während seiner Aussage am 8. August hatte er den Tod des Polizisten bedauert, jedoch von einem ihm aufgezwungenen Kampf gesprochen. Auch habe er den PDS-nahen Buchhändler lediglich verletzten, nicht aber töten wollen, um der »extrem deutschfeindlichen« PDS einen Denkzettel zu verpassen. Dem 63jährigen Klaus Baltruschat mußte nach dem Attentat der linke Unterarm amputiert werden.
(jW/ddpADN)
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