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Aus: Ausgabe vom 28.08.2010, Seite 16 / Aktion

Mördersoldaten

junge Welt ist nicht Teil der Heimatfront. Das führt zu Problemen beim Schreiben der Wahrheit. Die aber müssen auch ökonomisch gelöst werden
Von Dietmar Koschmieder
Opfer eines NATO-Angriffs in Mehtar Lam, Afghanistan, Dezember
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Opfer eines NATO-Angriffs in Mehtar Lam, Afghanistan, Dezember 2009
Der Werbespruch für die junge Welt kommt gut an. »Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen« beschreibt zum einen die Erfahrung, daß in vielen Veröffentlichungen Wahrheit versteckt wird. Der Spruch weckt zum anderen aber auch eine Erwartungshaltung, definiert einen Anspruch. Der nicht leicht zu erfüllen ist. Denn wir beziehen auch Nachrichtenagenturen und erkennen nicht in jedem Fall die ideologische Begrenztheit der dort angebotenen Texte. Deshalb ist die Zuarbeit freier Autorinnen und Autoren wichtig. Bei der schlechten Bezahlung ist es ihnen kaum möglich, intensiv zu recherchieren.

Zum kommenden Mittwoch treffen wir uns um 18.15 Uhr mit freien Autoren in der Redaktion der jungen Welt, um über künftige Zahlungsmodalitäten zu sprechen. Für eine alternative journalistische Arbeit bedarf es auch einer personell und technisch gut ausgestatteten Kernredaktion. Auch hier stoßen wir täglich an Grenzen. Solche Schwierigkeiten beim Aufspüren und Schreiben der Wahrheit können nur ökonomisch gelöst werden: Langfristig durch eine erhöhte Zahl bezahlter Abonnements, kurzfristig durch eine Preiserhöhung.

Nicht nur Agenturberichte, auch sachliche Beiträge der jW-Autoren spiegeln (wie anderswo auch) die konkrete Meinung, das Weltbild des Autors und damit des Mediums wider. Der Bericht wird beeinflußt vom Hintergrundwissen des Autors und von der Wahl seiner Quellen. Hinter jedem Bericht der jungen Welt steht deshalb der Name es Autors. So setzt sich Thies Gleiss am 20.Mai 2010 auf den Themaseiten mit der Diskussion zur Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen auseinander. SPD und Grüne, so seine These, wollen gar nicht mit der Linkspartei über eine Regierungsbildung verhandeln. Das gehe aus deren Bedingung hervor, die Linkspartei müsse zuerst ihr Verhältnis zur DDR klären. Wollte man da mitspielen, meint Gleiss, würde das etwa so gehen: »An der Berliner Mauer starben 136 Menschen eines gewaltsamen Todes, das ist unmenschlich und verbrecherisch, aber in Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht.« Kurzum: Am ersten Verhandlungstag werden weder die Linkspartei ihr Verhältnis zur DDR noch die Grünen und die SPD ihres zum Krieg klären.

Die Berliner Staatsanwaltschaft will nun unserem Autoren das Recht absprechen, diese Gedanken zu äußern. Sie sieht darin keine zugespitzte Meinung, sondern eine Beleidigung der in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten. Weil Gleiss sie im rechtlichen Sinne als Mörder bezeichnet habe, so die Staatsanwältin A. Hoffmann. Was völlig absurd ist, denn die Meinungsäußerung wurde im Kontext einer polemischen Auseinandersetzung mit einer entsprechend scharfen Gegenposition getroffen. Genausogut könnte man die SPD-Abgeordnete wegen Beleidigung verfolgen, da sie den Dienst eines DDR-Grenzers an der Mauer als verbrecherisch bezeichnet habe. Selbstverständlich geht es hier um eine politische und nicht um eine juristische Auseinandersetzung.


Wer darf nun welche Wahrheit, welche Meinung schreiben? Nicht erst seit dem Massaker von Kundus oder dem Umstand, daß Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zumindest indirekt an der Tötung verdächtiger Personen mitwirken, ist die Behauptung, daß die Bundeswehr in einer Friedensmission unterwegs sei, eine faustdicke Lüge. Menschen, die dabei mitwirken, Kinder und andere Zivilisten verbrennen zu lassen, egal ob im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan oder anderswo, kann man umgangsprachlich als Mörder bezeichnen. Daß man sie juristisch nicht ohne weiteres so nennen darf, liegt an den politischen Machtverhältnissen im Lande. Die vielgerühmte Gewaltenteilung verhindert nicht, daß brutalste Handlungen »unserer Soldaten« von der Heimatfront medial unterstützt und juristisch gedeckt werden. Wer aber solche Wahrheiten schreibt, geht mittlerweile erhebliche Risiken ein.

Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen. Überleben kann man mit so einer Position nur, wenn ausreichend Menschen diese Zeitung lesen und ihrer Genossenschaft beitreten. Und weil das zumindest bisher so war, können wir am 7. Oktober gemeinsam 15 Jahre neue junge Welt und LPG junge Welt eG feiern. Damit es auch für die Zukunft reicht, werden sich Verlag, Redaktion und Leserschaft noch mächtig anstrengen müssen.


15 Jahre Verlag 8. Mai, 15 Jahre Genossenschaft, kleine Feier am Donnerstag, 7. Oktober 2010, ab 19 Uhr, in der jW-Ladengalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin

Treffen freier Autorinnen und Autoren der jungen Welt, Mittwoch, 1.September, 18.15 Uhr in den Räumen der Redaktion (bitte mit Voranmeldung: dk@jungewelt.de)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Leserbriefe zu diesem Artikel:

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