Aus: Ausgabe vom 08.01.2011, Seite 16 / Aktion
Vorzüge des Landwehrkanals
Von Dietmar KoschmiederDie Podiumsdiskussion, zu der wir auch Gesine Lötzsch eingeladen haben, trägt den Untertitel »Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus«. Inge Viett von der Radikalen Linken (und ehemaliges Mitglied der RAF) sowie Linksparteivorsitzende Gesine Lötzsch haben wir gebeten, zur Vorbereitung der Diskussion in der jungen Welt jeweils ihre Positionen zu benennen. Im Ergebnis haben wir ein Panorama linker Diskussion im Lande: Innerhalb der in diesen Beiträgen entwickelten Positionen bewegt sich die inhaltliche Gestaltung der Konferenz, aber auch die unserer Tageszeitung. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme besteht Einigkeit darüber, daß bestehende gesellschaftliche Verhältnisse auf Dauer überwunden werden müssen und eine Gesellschaft frei von Ausbeutung das Ziel ist. Große Meinungsverschiedenheiten gibt es bei der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Und deshalb liegen auch unterschiedliche Vorschläge vor, wie die Kämpfe zu organisieren sind. Daß diese Debatten den Nerv der Zeit treffen und eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, beweist unfreiwillig der enorme Medienrummel, den beide Beiträge ausgelöst haben. Auch wenn es überraschend ist, daß kaum ein Medium bereit ist, die zur Diskussion stehenden Positionen richtig wiederzugeben. So stimmt nicht, daß hier eine Rede vorabgedruckt wurde. Es stimmt auch nicht, daß Gesine Lötzsch etwas anderes als einen demokratischen Sozialismus eingefordert hätte – auf einer inhaltlichen Position, wie das wohl jeder anständige Sozialdemokrat oder Christ kaum anders formuliert hätte. Auch im Rahmen der inhaltlichen Debatte um die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz kann deshalb an vielen Stellen nachgewiesen werden: Sie lügen wie gedruckt. Und die junge Welt druckt, wie sie lügen. Über diese Erkenntnis freuen wir uns allerdings keineswegs, weil der beachtliche Verfall bürgerlicher demokratischer Kultur nicht die linken Kräfte im Lande stärkt.
Es zählt nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, daß über kapitalistische Verhältnisse offen und unter Benennung aller Erkenntnisse und Fakten diskutiert werden darf. Es dürfen öffentlich auch keine Schlußfolgerungen aus solchen Bestandsaufnahmen gezogen werden. Wer sich diesem Diktat widersetzt, wird massiv unter Druck gesetzt. Das geschieht auf vielen Ebenen: Die eingeladenen Teilnehmer werden bedrängt, weil sie es wagen, bei dem Veranstalter und den Gästen überhaupt auch nur aufzutreten. Andere wiederum wollen den Veranstaltern vorschreiben, wer einzuladen und was zu diskutieren ist – und was nicht. Die Urania als Hausherr und Vermieter der Konferenzräume wird unter Druck gesetzt, weil sie mit ihrer Vermietung diese freie Rede überhaupt erst ermöglicht. Die andere Ebene dieser Hetze kann man im Internet eindrucksvoll nachlesen. Exemplarisch sei hier der Internetnutzer »Berliner Kindl« und seine Schlußfolgerungen zur medialen Debatte genannt: »Vielleicht«, schreibt er auf fact-fiction.net, »folgen Gesine Lötzsch und Inge Viett dem Beispiel von Rosa Luxemburg in den Freitod. Der Berliner Landwehrkanal hat auch seine Vorzüge...«
Wir versprechen an dieser Stelle: Weder die Tageszeitung junge Welt noch die Rosa-Luxemburg-Konferenz werden für Medien, Sekten oder Fraktionen mit egal welchem Glaubensbekenntnis gemacht. Wir verweigern uns keiner sinnvollen Debatte. Wir lassen uns aber von niemandem vorschreiben, wen wir einzuladen haben und wen nicht, was wir zu diskutieren haben und was nicht. Deshalb stehen wir unter enormem Druck. Diesem werden wir aber auch dank der Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser und Besucherinnen und Besucher standhalten.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Leserbriefe zu diesem Artikel:
- Cato: Vorzüge des Landwehrkanals Da ja heute Lügen lange Beine haben darf es nicht verwundern daß die breite Masse der Volksverblödeten erneut an die "neue Führerschaft" glaubt! Dumm sterben ist leichter als wissend exekutiert zu...
- Wolfgang Mueller: Kommunismus-Debatte Kommunismus-Debatte Auf meinen Beitrag zur aktuellen Kommunismus-Debatte, der sich mit dem "Entschuldigungszettel" des "Politikchefs" der "Märkischen Allgemeinen" Ralf Schuler beschäftigt (siehe: h...
- Peter Lorscheidt: Kommunismus für Heuchler ein Unwort Kommunismus für Heuchler ein Unwort Liebe Freunde und Genossen (der Begriff Genosse gehört ja auch schon zu den Tabu Begriffen bei vielen LINKEN) erst einmal ein großes DANKESCHÖN für den Artikel!!...
Ähnliche:
- 07.01.2011
»Was ist denn da los?«
- 06.01.2011
Ein Gespenst geht um
- 06.11.2010
Netzwerk schaffen