Aus: Ausgabe vom 29.01.2011, Seite 16 / Aktion
Beunruhigende Werte
Von Dietmar KoschmiederIn Tunesien bietet die westliche Wertegemeinschaft deshalb den bedrohten Machthabern zunächst militärische Hilfe zur Niederschlagung des Aufstandes an. Wenn das auch nicht mehr hilft, werden die vorher »Unruhen« genannten Erhebungen rasch als »jadene Revolution« gefeiert, um sie mit den in Osteuropa von Geheimdiensten angeleiteten und finanzierten Operationen in eine Linie zu stellen. Viele Medien übernehmen in ihrer Berichterstattung völlig unkritisch die lancierten Kommentare diverser Experten, die vor allem Geheimdienstexperten sind.
Das funktioniert auch unter anderen Vorzeichen: Wenn in Kuba fünf weißgekleidete Frauen ein Schild hochhalten, sind zufällig westliche Journalisten dabei, die das dann als Ausdruck massenhafter Unzufriedenheit und Unterdrückung der kubanischen Bevölkerung weltweit über die Agenturen schicken. Zwar erkennen die Herausgeber der Tageszeitungen immer mehr, daß es in der sich verändernden Medienlandschaft immer wichtiger wird, neben der Meldung eine historische Einordnung und Interpretation des Geschehens anzubieten. Mit der täglichen Umsetzung dieser Erkenntnis wird aber auch leichter erkennbar, in wessen Interesse und damit aus welchem Blickwinkel innen- und außenpolitische Ereignisse für die Zeitung ausgewählt und erklärt werden.
So titelte die Berliner Zeitung am 27.Januar 2011: »Linke verzweifelt an sich selbst«. In der Unterzeile heißt es: »Beunruhigende Umfragewerte«. Angesichts sinkender Umfragewerte wachse in der Linkspartei die Nervosität, wird behauptet. Belegt wird das mit einer Reihe von Aussagen »führender Mitglieder« vom rechten Flügel der Linken. Dazu wird dann eine Grafik gestellt, die zum einen belegt, daß im Vergleich zur Vorwoche die Linke unverändert bei neun Prozent laut Umfragen bleibt – und damit mehr als doppelt soviel Zuspruch als die FDP genießt, die bei vier Prozent dümpelt. Dieser Widerspruch zwischen behaupteten sinkenden Umfragewerten und den Fakten der Grafik wird im Text folgendermaßen aufgelöst: Die »nur noch« neun Prozent seien »zweieinhalb Punkte weniger als bei der letzten Bundestagswahl«. Dabei wurde an verschiedenen Stellen (zum Beispiel in der ARD-Sendung Anne Will vom 16. Januar) erklärt, daß dieser längerfristige Effekt mit dem Rückzug Oskar Lafontaines aus der Parteiführung der Linkspartei zu tun hat.
Seit der Kommunismusdebatte ist der Stimmenanteil der Linkspartei eher stabil, trotz der Schmähungen der eigenen Vorsitzenden auch durch »führende Mitglieder« der Partei. Nachdem im Bericht dramatisierend aufgezählt wird, wo die Linke überall an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte, wird »Berlins Linkenchef Klaus Lederer« zitiert: »Ich halte die Lage für ernst«, der »Linkenchef von Mecklenburg-Vorpommern« darf ein Scheitern in Hamburg ein »Schreckensszenario« nennen. Ein gängiges Muster im journalistischen Betrieb: Berücksichtigt werden nur jene Aussagen, die zur Tendenz des vorgedachten Beitrags passen. So wurden direkt nach dem Kommunismus-Beitrag der Linke-Vorsitzenden Gesine Lötzsch in der jungen Welt sehr viele Bundestagsabgeordneten ihrer Partei von Journalisten abtelefoniert. In der Berichterstattung kamen aber in der Regel nur jene zu Wort, die sich kritisch bis ablehnend zu Frau Lötzsch geäußert haben.
Auch um sich für die Kommunismusdebatte ein wenig sachkundiger zu machen, werden in den nächsten Tagen einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jungen Welt mit der Delegation des Berliner Büros Buchmesse Havanna auf die rote Karibikinsel fliegen. Wir werden unseren vielen Gesprächspartnern die Frage stellen, was sie vom Kommunismus halten. Unabhängig davon, wie ihre Antwort aussieht, werden wir natürlich auf unserem Online-Spezial Buchmesse (www.jungewelt.de/havanna2011/) darüber berichten.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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