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Aus: Ausgabe vom 12.03.2011, Seite 16 / Aktion

»Tatörtlichkeit Internet«

jW-Berichterstattung über Staatssicherheit, den letzten Eskimo und die Castortransporte beschäftigt den Berliner Polizeipräsidenten
Von Dietmar Koschmieder
Nicht von allen hochgeschätzt: jW-Berichterstattung
Nicht von allen hochgeschätzt: jW-Berichterstattung
Dieser Tage erreichte uns eine kleine Nachricht vom Landgericht Berlin: »In der Strafsache gegen 1. Dr. Wolfgang Schwanitz (…) 2. Dr. Arnold Schölzel (…) wegen Beleidigung u.a. hat die Landeskasse Berlin die Kosten (…) sowie den beiden Freigesprochenen insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen, da die Staatsanwaltschaft Berlin das Rechtsmittel mit Verfügung vom 11. Februar 2011 zurückgenommen hat.« Hinter diesen dürren Worten steckt nicht weniger als der Abschluß eines sich über viele Monate erstreckenden Verfahrens. Auslöser war ein Interview in der jungen Welt vom 6. Juni 2009 mit Generalleutnant a.D. Wolfgang Schwanitz, letzter Minister für Staatssicherheit der DDR, über die Bedeutung von Karl-Heinz Kurras und die Arbeit des MfS. Dr. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, erkannte sich in der jW bei den Worten »der Psychopath aus Hohenschönhausen, der die Stasi-Überprüfung nunmehr bis auf den letzten Eskimo ausgedehnt wissen will, ohne zu bedenken, daß dieser mit dem Kalten Krieg nichts zu tun hatte«, wieder und verlangte zunächst über seinen Anwalt eine Unterlassungserklärung von der jungen Welt . Die bekam er aber nicht, so erstattete er Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin. Diese ermittelte daraufhin gegen Schwanitz als Urheber und gegen jW-Chefredakteur Schölzel als Verbreiter des Satzes wegen Beleidigung – und forderte von beiden über Strafbefehle jeweils knapp 5000 Euro. Beide erhoben Einspruch, so daß es zur ersten Verhandlung vor dem Berliner Amtsgericht kam. Die Amtsrichterin konnte keine Beleidigung erkennen und sah die Aussage nicht als Schmähkritik an. Die Äußerungen des Angeklagten sei »jedenfalls durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt«. Die Staatsanwaltschaft reagierte empört und legte Berufung ein, deshalb wurde die Sache vor dem Landgericht verhandelt. Aber auch dort wurden die Angeklagten freigesprochen. »Die Äußerung erweist sich (…) nicht als Formalbeleidigung oder Schmähung, bei der die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurücktritt«, begründete der Richter sein Urteil. Auch dagegen legte die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ein, zog dieses jetzt aber wieder zurück und akzeptierte damit, daß der Freispruch von Schwanitz und Schölzel rechtskräftig ist.

Daß wir uns gegen Versuche, uns mit juristischen Mitteln fertigzumachen, wehren können, verdanken wir unseren Leserinnen und Lesern. Dank der Abogebühren und Spenden können wir nicht nur täglich eine spannende Zeitung machen, sondern werden auch in die Lage versetzt, riskante Prozesse durchzustehen. Leider gibt es immer wieder solche Versuche. Kaum hat die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Niederlage in Sachen Knabe zu den Akten gelegt, ermittelt sie erneut, diesmal gegen den Geschäftsführer der jungen Welt . Wegen angeblicher »öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (Veröffentlichung auf jungewelt.de am 30.10.2010 in bezug auf Castortransport)«, wie der Berliner Polizeipräsident mitteilen läßt. »Tatort Berlin, Bereich Berlin und bundesweit« heißt es in der Vorladung, und »Tatörtlichkeit Internet«. Gemeint ist wohl unsere ausführliche Berichterstattung zu diesem Thema. Ein weiteres Mal soll versucht werden, unangepaßte Berichterstattung zu kriminalisieren. Die Liste der Prozesse, mit denen wir Meinungs- und Pressefreiheit im Lande erfolgreich verteidigt haben, ist mittlerweile erstaunlich lang, es werden wohl noch einige dazukommen. Mit ausreichend Abonnements und gefülltem Prozeßkostenfonds kann man solchen »Ermittlungsverfahren« gelassener entgegentreten. Ökonomisch riskant bleiben sie trotzdem, Zeit und Kraft kosten sie auf jeden Fall

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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