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Aus: Ausgabe vom 10.01.2012, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft

Lesetip: Chinesische Gewerkschaften

Im Frühjahr 2010 wurde das chinesische System von einem bis dahin in diesem Ausmaß nicht gekannten Phänomen erschüttert: Eine Welle von vielen hunderten Streiks überschwemmte die Industriezentren des Landes. Trotz eines gesetzlichen Streikverbots und trotz eines Allchinesischen Gewerkschaftsbundes, der 226 Millionen Mitglieder und 400000 hauptamtliche Mitarbeiter zählt und der gesetzlich verpflichtet ist, solche Streiks zu verhindern und bei Arbeitsunterbrechungen auf die Aufnahme der Produktion hinzuwirken. Folgerichtig hatten die Beschäftigten ihre Aktionen an der Gewerkschaft vorbei und gegen sie organisiert und auch deren Vermittlungsfunktion in vielen Fällen nicht akzeptiert.

Wolfgang Müller, Sekretär der IG Metall, hat mehrere Jahre in China gelebt und gearbeitet. Er untersucht im neuen isw-spezial des Münchner Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung die Wandlung der Gewerkschaften von »Transmissionsriemen« der staatlichen Politik hin zu einer kämpferischen, konfliktbereiten Interessenvertretung. Müller hält es für eine offene Frage, ob ihnen dies gelingt.

Wolfgang Däubler, renommierter Arbeitsrechtler der Bundesrepublik und seit Jahren immer wieder zu Lehraufträgen an chinesischen Universitäten, setzt sich mit der Entwicklung des Arbeitsrechts in China seit 1949 auseinander. Den Höhepunkt dieses Prozesses bildet das Arbeitsvertragsgesetz von 2007, das die Befristung der Arbeitsverhältnisse aufheben und den unbefristeten Vertrag als Normalarbeitsverhältnis durchsetzen will. Als zweite wichtige Vorschrift unterwirft das Gesetz die Leiharbeit tiefgreifenden Einschränkungen. Beide Vorschriften treffen in der Praxis auf erhebliche Widerstände, sie sind bis heute nicht auf breiter Front durchgesetzt.


Auch Däubler konstatiert, daß die Gewerkschaften keine Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten sind (und auch gesetzlich davon abgehalten werden) und fragt, wieso dennoch die chinesische Wirtschaft so überaus erfolgreich sein kann. Seine Antwort: Im betrieblichen Alltag dominieren informelle Regeln, die einen fairen Umgang mit den Beschäftigten verlangen. Die jüngsten Beschlüsse der Partei sehen stärkere Lohnerhöhungen und eine Verbesserung der Sozialversicherung vor. Wird das ausreichen, um die politische Stabilität des Systems zu sichern? Wohl dann nicht, meint Däubler, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen keine vergleichbaren Verbesserungen mehr zulassen. Die Zukunft sei offen.

isw-spezial 25, Dez. 2011, 52 Seiten, 4,50 Euro zzgl. Versand

www.isw-muenchen.de

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