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Aus: Ausgabe vom 14.04.2012, Seite 16 / Aktion

Bibel, Kuba, Mauerbau

Was Redaktions- und Geheimdienststuben an Gesine Lötzsch interessiert
Von Dietmar Koschmieder
Manche Tageszeitungen erweitern ihr Angebot im Internet. In der Süddeutschen Zeitung kann man zum Beispiel anläßlich des Rücktritts der Vorsitzenden der Partei Die Linke die Rubrik »Skandale von und mit Gesine Lötzsch« finden. Da sind ihre angeblichen »Fehltritte« aufgelistet. Die Geschichte fängt dann so an: »Für die linksradikale Zeitung Junge Welt interessiert sich doch sowieso keiner, außer vielleicht der Verfassungsschutz. Das dachte sich möglicherweise auch Gesine Lötzsch, als sie in dem Blatt einen Artikel mit der Überschrift ›Wege zum Kommunismus‹ veröffentlichte.«

Natürlich ist die junge Welt keine linksradikale Zeitung, wohl aber radikal links. Linksradikal nutzen Medien wie die Süddeutsche Zeitung als Kampfbegriff, um in anderem Zusammenhang dann mal rasch linksradikal und rechtsradikal in einen Topf werfen zu können. Radikal links ist die junge Welt, weil sie die Verhältnisse von Grund auf kritisiert. Deshalb interessiert sich der Verfassungsschutz keineswegs nur »vielleicht« für die junge Welt. Das weiß der Autor der Süddeutschen. Aber er verteidigt keineswegs Pressefreiheit, verzichtet dafür auf eine liberale und offene Haltung und schreibt so, als ob zumindest einzelne Redakteure der Süddeutschen Mitarbeitende der bayrischen Geheimdienste seien.

Denn Gesine Lötzsch wird nicht nur vorgeworfen, in der jungen Welt einen Beitrag veröffentlicht zu haben, sondern es geht natürlich auch um nicht genehme Inhalte. So habe sie Anfang 2011 dort geschrieben: »›Die Wege zum Kommunismus‹ können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedenen Wege auszuprobieren‹.« (…) In einer Bundestagsdebatte konterte die Linke mit Bibelversen, die beweisen sollten, daß kommunistische Ideen auch in der Heiligen Schrift zu finden sind. Die CSU ließ sich davon allerdings nicht bekehren und forderte eine flächendeckende Überwachung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz«, bemerkt die Süddeutsche.

Und da bekanntlich der Kommunismus die Grundtorheit des 20. und 21. Jahrhunderts ist, notiert auch das bayrische Innenministerium im Verfassungsschutzbericht 2011 unter der Rubrik Linksextremismus: »Daß weite Teile der Partei Die Linke. den Kommunismus als Endziel ihrer Bestrebungen ansehen, zeigte sie auch in der ›Kommunismusdebatte‹. Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch hatte in einem in der parteinahen linksextremistischen (…) Tageszeitung junge Welt (jW) vom 3. Januar vorab gedruckten Redebeitrag für die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zum Thema ›Wo bitte geht’s zum Kommunismus?‹ die Partei aufgefordert, ›Wege zum Kommunismus‹ zu finden.«


Auch in Sachen Geschichtsschreibung lassen sich bayrischer Verfassungsschutz und Süddeutsche nichts vormachen: »Geschichtsschreibung frei nach Gesine Lötzsch:«, keift die Süddeutsche: »Im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung behauptete die Linken-Parteichefin im August 2011, daß der Mauerbau ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges gewesen sei.« Im bayrischen Verfassungsschutzbericht heißt es ähnlich klug: »Fehlende Distanz zum Mauerbau (…) Teile der Partei relativierten das Unrecht des Mauerbaus (…) indem sie (…) dem Westen eine Mitschuld am Mauerbau zuwiesen oder sie als Instrument der Friedenssicherung bezeichneten.« Linksextremistisch ist also, wer die Geschichte umfassend betrachtet und sich weigert, wichtige Aspekte auszublenden.

Linksextremistisch und skandalös ist es aber auch, Geburtstagsgrüße zu verschicken, meinen Verfassungsschutz und Süddeutsche: »Besonders in Erinnerung bleibt Gesine Lötzsch mit ihrem Geburtstagsbrief an den langjährigen kubanischen Staatschef. Gemeinsam mit Klaus Ernst gratulierte sie im August 2011 ›Genossen Fidel Castro‹ zum 85. Geburtstag. Die Errungenschaften des sozialistischen Kubas hätten eine Beispielwirkung für so viele Völker der Welt (…) Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, sprach von einem ›skandalösen Kniefall‹ und Erika Steinbach, CDU-Menschenrechtsbeauftragte von einem ›unglaublich peinlichen Brief‹«, beschwert sich die Süddeutsche. Auch der bayrische Verfassungsschutz sieht »Fehlende Distanz (…) zum sozialistischen Kuba«: »Solidarität und Sympathie mit dem sozialistischen Kuba, in dem bekanntlich immer noch totalitäre Verhältnisse herrschen und systematisch Menschenrechte verletzt werden, bekundeten die Parteivorsitzenden Lötzsch und Ernst, als sie dem kubanischen Revolutionsführer und ehemaligen sozialistischen Machthaber Fidel Castro im August zum 85. Geburtstag gratulierten. In ihrer Glückwunschadresse lobten sie sein ›kampferfülltes Leben und erfolgreiches Wirken an der Spitze der kubanischen Revolution‹ sowie ›die Errungenschaft des sozialistischen Kuba mit seiner Beispielwirkung für so viele Völker der Welt‹.«

Dabei sind die bayrischen Behörden keineswegs gegen ein wohlwollendes Verhältnis zu Machthabern mit kampf­erfülltem Leben und erfolgreichem, beispielgebendem Wirken an der Spitze einer Diktatur, nur eine faschistische muß es halt schon sein: Franz Josef Strauß war guter Freund von Augusto Pinochet, zu dessen blutigem Putsch er 1973 den Verbrecher beglückwünschte: »Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.«

Gesine Lötzsch kann wohl nicht alles falsch gemacht haben. Ob die Linkspartei jemals wieder eine so großartige Frau an ihrer Spitze haben wird, darf man hoffen, aber leider nicht erwarten. Ihr sei jedenfalls für ihre Arbeit und konsequente Haltung gedankt. Die radikal linke Zeitung junge Welt kämpft weiter dafür, daß es zu Themen wie Kommunismus, Kuba und Mauerbau nicht nur Ansichten wie aus bayrischen Redaktions- oder Ministeriumsstuben zu lesen gibt.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

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