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Aus: Ausgabe vom 11.05.2013, Seite 16 / Aktion

Ordnende Hand

Die jW-Berichterstattung aus München und aus Luxemburg und ein Verfahren gegen den Geschäftsführer dieser Zeitung
Von Arnold Schölzel
Am vergangenen Montag in Berlin: Kundgebung antirassistischer un
Am vergangenen Montag in Berlin: Kundgebung antirassistischer und antifaschistischer Gruppen
Das Los bescherte jW beim Prozeß gegen Beate Zschäpe und Co. einen festen Platz für die Berichterstattung. In München werden regelmäßig Claudia Wangerin und Sebastian Carlens sein. jW wird auch zukünftig ihre eigene Linie in der Analyse dessen, was mit dem Titel »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) verbunden ist, verfolgen. Ähnlich wie viele ausländische Beobachter sowie Hinterbliebene der Mordopfer und im Gegensatz zum Mainstream fragen wir: »Wieviel Staat steckt im NSU?« Wir haben diese Formulierung zum Titel unseres »Online Spezial« gemacht, das am ersten Prozeßtag startete.

Wie berechtigt die Frage ist, zeigt der »Bombenleger«-Prozeß, der seit Februar in Luxemburg stattfindet. Dort wurde die »ordnende Hande«, um eine Formulierung des Linke-Politikers Bodo Ramelow aufzugreifen, bei der Entfaltung von Staats- und NATO-Terror gegen die eigene Bevölkerung in den 80er Jahren sichtbar. Das Thema ist hierzulande tabu, wie der Schweizer Historiker Daniele Ganser kürzlich in jW feststellte. jW war fast das einzige deutsche Medium, das über den Luxemburger Prozeß berichtete, obwohl die gerichtliche Einvernahme von Geheimdienst- und Regierungschefs für sich genommen eine Nachricht ist. Nun hat immerhin die Sendung »Kulturzeit« auf 3sat am Dienstag einen längeren Beitrag dazu gebracht, verschiedene Regionalzeitungen widmeten sich dem Verfahren – übrigens unter Inanspruchnahme von kollegialer Hilfe durch jW bei der Herstellung von Kontakten. Auch diesmal wurde jW nicht als Quelle oder Referenz genannt, das sind wir gewohnt. Bezeichnender erscheint etwas anderes: In einem Artikel der WAZ-Gruppe zum Thema wurde zwar eine ältere parlamentarische Anfrage der Grünen zu den Luxemburger Bombenlegern erwähnt, nicht aber die präzise schriftliche Frage der linken Bundestagsabgordneten Ulla Jelpke an die Bundesregierung vom März. So macht die deutsche Qualitätspresse Politik. Ähnliches passierte übrigens mit den Berichten über den Panzerverkauf an Indonesien: jW berichtete bereits am Dienstag, bevor am Mittwoch die Großmedien überrascht taten.

Die ordnende Hand des Staates ist auch mit einem Prozeß gegen jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder verbunden. Er ist wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Verhandelt wird vor dem Amtsgericht Tiergarten (Turmstr. 91, 10559 Berlin) am kommenden Freitag, dem 17. Mai, ab 9 Uhr. Der Hintergrund: Die Berliner Versammlungsbehörde untersagte der mühsam von den Staatsschützern gepäppelten NPD am 17. Juni 2011 eine Kundgebung vor dem Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Partei Die Linke, und verlegte sie nach einer laut Polizeiaussage »politisch gewollten Entscheidung« 100 Meter weiter vor das Gebäude, in dem sich die jW-Redaktion befindet. Es kam zu einem türenzerstörenden Polizeieinsatz, der für Koschmieder mit blauen Flecken und Abschürfungen und der Anklage endete. Gewehrt hatte er sich gegen die Maßnahmen der Beamten nicht.

Tatsachen sind allerdings der Berliner Innen- und Schredderbehörde egal, wenn es gegen Linke geht. Ein jüngeres Beispiel ist der Fall des Berliner Rechtsanwalts Hans-Eberhard Schultz, der am 5. Februar von der Anklage, er habe Widerstand gegen die Polizei geleistet, wegen offensichtlicher Falschdarstellung von Beamten freigesprochen werden mußte. Welcher Geist in den hiesigen Innenämtern herrscht, besagte in dieser Woche die Zulassung einer NPD-Kundgebung am 8. Mai vor dem Museum, in dem 1945 die Kapitulationsurkunde des faschistischen deutschen Staates unterzeichnet wurde. Verkraftet haben das in der Reichshauptstadt eine ganze Menge Leute bis heute nicht. Das ist allerdings gut so.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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