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Aus: Ausgabe vom 02.09.2013, Seite 13 / Feuilleton

Zur Reha nach Bayreuth

Von Wolfgang Müller
In Bayreuth und der Zeit laufen alle Fäden zusammen. Die »Lichtgestalt« Karl Theodor zu Guttenberg schummelte an der dortigen Universität seine Doktorarbeit im Copy-and-paste-Verfahren zusammen. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gab dem als Hochstapler entlarvten Exverteidigungsminister aus altem Adelsgeschlecht nach knapp halbjähriger Schamfrist die Chance zur Rehabilitation. Als Aufmacher der Zeit erschien Ende 2011 di Lorenzos banal-harmloses Comeback-Interview mit Guttenberg, das es auch noch als Buch gab, an dem der Zeit-Chef selber mitgewirkt hatte.

Nun folgte im Sommerloch dezent das »Wunderkind« Helene Hegemann, die wie Theodor zu Guttenberg durch den allzu sorglosen Gebrauch des Copy-and-paste-Verfahrens deutschlandweit berühmt wurde. Kurz vor Veröffentlichung ihres neuen Romans bekam sie ihre zweite Chance – in Bayreuth und in der Zeit. Mitte August erschien im Hamburger Blatt ihr Augenzeugenbericht von den Bayreuther Festspielen. Auf dem Foto schaute sie ganz cool: »Der Ort, der sie in den Nervenzusammenbruch treibt: Helene Hegemann, 21, im Park des Festspielhauses.« Dem gutbürgerlichen Milieu, dem die Rebellin entstammt, hat sie sich offenbar immer noch nicht angepaßt. Im Gegenteil: Zwar wird im Parkett nicht jemandem stundenlang in den Mund gefickt, wie in ihrem vom Mainstreamfeuilleton hochgelobten Debütroman geschehen, aber irgendwann kotzt in ihrem Augenzeugenbericht ein Mann aus dem Publikum in die Handtasche seiner Nachbarin. Irre, nicht zu fassen, sehr unkonventionell.


Alle schimpfen immer auf die nordkoreanische Kim-Familien-Dynastie, dabei wird Talent auch in Deutschland dynastieartig vererbt. Jetzt möchte ich ebenfalls mal nach Bayreuth zur Reha, meine eigene Dynastie begründen. In der Villa Wahnfried. War das nicht der Name der geschlossenen Abteilung in Bayreuth, in der dieses Stück mit Gustl Mollath lief? Auf nach Bayreuth – Deutschlands Zentrum von Wahn und Wirklichkeit.

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