Aus: Ausgabe vom 18.11.2013, Seite 13 / Feuilleton
Baustellen und Hausnummern
Von Wiglaf Droste
Baustellen gibt es jede Menge, Autofahrer wissen das und fluchen oder stöhnen, je nach Situation und Temperament, wenn die Stadt zur nahezu unpassierbaren Ganzjahresbaustelle wird. An Baustellen herrscht nicht der geringste Mangel im Land, übel beleumundet sind sie auch, und doch scheint es darüberhinaus einen großen rhetorischen Bedarf an ihnen zu geben. Alle Welt redet jedenfalls ständig von Baustellen, die mit dem Straßenverkehr nicht das geringste zu tun haben? Er habe gerade »viel zu viele Baustellen«, behauptet einer und meint damit seine Arbeit, seine Familie und seine, auch ein sehr schönes Wort, »Kreditlinie«. Wer Frau und Geliebte zu bedienen hat, ist auf mindestens zwei »Baustellen« beschäftigt, aber das ist schon wieder »eine ganz andere Baustelle«.
Von der ästhetischen wie substantiellen Unangemessenheit des Wortes »Baustelle« abgesehen könnte man ganz plebejisch einwenden, daß all diejenigen, die permanent von »Baustellen« reden, niemals auf einer Baustelle gearbeitet haben – wie ja auch all die wichtigen Menschen, die sich einen Termin erst »freischaufeln« müssen, noch nie im Leben eine Schaufel respektive eine Schippe oder Schüppe in der Hand gehalten haben. Das ist ja auch überhaupt nicht Pflicht, aber rhetorische Klassenzugehörigkeitsaneignung möge bitte unterbleiben; es handelt sich um sprachsoziologischen Diebstahl, und der ist ungehörig.
Manche Baustellen haben auch Hausnummern. Bei Vertrags- oder Honorarverhandlungen hört man häufig den Satz: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« So versucht derjenige, der eine Arbeit gemacht haben will, dem Arbeitenden die Last des ersten Angebots aufzudrücken: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« Diesen schwarzen Peter kann man zurückspielen, indem man eine veritable Hausnummer nennt: 73 oder 19 oder 128 b, dann ist der andere dran und kann seine Hausnummer aufsagen, oder er sagt wissend oder wissend sein simulierend: »Aaah, die Abteilung …!« und versucht, den anderen »ins Boot zu holen«.
Auch berühmte Künstler werden als »eine ganz schöne Hausnummer« bezeichnet, und wenn die Frau, die »eine ganz andere Baustelle« ist, auch noch als »ziemliche Hausnummer« firmiert und durchgeht, ist die Baustellenhausnummer perfekt. So viel Wortarbeit macht hungrig, und so wird das Thema dann »abgefrühstückt«, und zwar so lange, bis es »auserzählt« ist »am Ende des Tages«, was aber nicht abends bedeutet, sondern bloß unterm Strich, oder, in der Analarithmetik des Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl gesprochen: »Wichtig ist, was hinten rauskommt.«
Das ist zwar eine ganz andere Baustelle, aber eben auch eine ziemliche Hausnummer.
Von der ästhetischen wie substantiellen Unangemessenheit des Wortes »Baustelle« abgesehen könnte man ganz plebejisch einwenden, daß all diejenigen, die permanent von »Baustellen« reden, niemals auf einer Baustelle gearbeitet haben – wie ja auch all die wichtigen Menschen, die sich einen Termin erst »freischaufeln« müssen, noch nie im Leben eine Schaufel respektive eine Schippe oder Schüppe in der Hand gehalten haben. Das ist ja auch überhaupt nicht Pflicht, aber rhetorische Klassenzugehörigkeitsaneignung möge bitte unterbleiben; es handelt sich um sprachsoziologischen Diebstahl, und der ist ungehörig.
Manche Baustellen haben auch Hausnummern. Bei Vertrags- oder Honorarverhandlungen hört man häufig den Satz: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« So versucht derjenige, der eine Arbeit gemacht haben will, dem Arbeitenden die Last des ersten Angebots aufzudrücken: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« Diesen schwarzen Peter kann man zurückspielen, indem man eine veritable Hausnummer nennt: 73 oder 19 oder 128 b, dann ist der andere dran und kann seine Hausnummer aufsagen, oder er sagt wissend oder wissend sein simulierend: »Aaah, die Abteilung …!« und versucht, den anderen »ins Boot zu holen«.
Auch berühmte Künstler werden als »eine ganz schöne Hausnummer« bezeichnet, und wenn die Frau, die »eine ganz andere Baustelle« ist, auch noch als »ziemliche Hausnummer« firmiert und durchgeht, ist die Baustellenhausnummer perfekt. So viel Wortarbeit macht hungrig, und so wird das Thema dann »abgefrühstückt«, und zwar so lange, bis es »auserzählt« ist »am Ende des Tages«, was aber nicht abends bedeutet, sondern bloß unterm Strich, oder, in der Analarithmetik des Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl gesprochen: »Wichtig ist, was hinten rauskommt.«
Das ist zwar eine ganz andere Baustelle, aber eben auch eine ziemliche Hausnummer.
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