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Aus: Ausgabe vom 08.02.2014, Seite 13 / Feuilleton

Wie versiegelt

Das Dorf in den kahlen ostanatolischen Bergen ist unter einer Schneedecke wie versiegelt. Jetzt steht die Beschneidung der Söhne bevor. Traditionsgemäß wird dann ein großes Fest gefeiert und ein Schaf geschlachtet. Doch dazu fehlt der kleinen Familie das Geld. In dieser gefühllosen bäuerlichen Überwachungswelt ist das kein Vorteil. Die Frau will die drohende Schmach daher so zwanghaft vermeiden, daß sie damit ihrem antriebslosen Mann schon auf die Nerven fällt.

Ihr Sohn hat eigene Sorgen. Seine gewitzte ältere Schwester, geschickt spielend auf der Klaviatur des Entsetzens, hat ihm grelle Angstbilder in den Kopf gesetzt. Da kein Geld für ein Schaf vorhanden sei, würde jetzt eben er selbst zur Feier seiner eigenen Beschneidung geschlachtet und den Gästen als Hauptgericht vorgesetzt. Das ruft im Zuschauer biblische sowie antike Opfermythen auf.

In der nächsten Stadt findet der junge, gutaussehende Vater sein Paradies auf Zeit. Er verliebt sich in eine ziemlich verlebte Sängerin. Genau darauf hatten seine Freunde aber spekuliert, denn die Gefühle des Naiven dienen auch ihren Zwecken.


Über die weiteste Strecke gelingt es »Kuzu«, aus Trostlosigkeit eine Stimmung großer Eindringlichkeit zu schaffen, der es auch an Humor nicht fehlt. Die Lakonie gründet auf einer Archaik, die an manche Filme von Murnau und Pasolini erinnert. Jedoch verlieren sich diese Qualitäten zum Ende hin; die Atmosphäre des Elementaren wird zerstreut, die erzählerische Aufstellung zerbricht, die Ereignisse überschlagen sich etwas zu filmgemäß, also nicht zum Guten. Obwohl Kutlug Ataman über großartige Darsteller verfügte, sind die Figuren nicht in der Lage, die große Last der Mythen zu tragen (die aber auch einem weniger bescheiden dimensionierten Film auf die Füße gefallen wäre). Immerhin verwandelt sich eine Frau, die eben noch nur als Trägerin kleinbürgerlicher Bedenken aufgefallen ist, auf einmal in eine wahrhaftige Medea. Als Medea, ikonografisch die mit dem Dolch, muß sie aber eben Dinge tun, die – Achtung spoiler – für die Emanzipationserzählung letztlich unproduktiv sind, in die der Film dann mündet.Manfred Hermes



»Kuzu«, Regie: Kutlug Ataman, Reihe Panorama Special, Türkei/Deutschland 2014, 87 min, 7.12., 12.2., 13.2., 14.2., 15.2.

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