Identifizierte Nazis
Zwar schreibt das konkrete Leben die interessantesten Krimis – darüber offen berichten darf aber eine Zeitung wie junge Welt nicht so ohne weiteres. Denn schnell kann man dann Schwierigkeiten bekommen. So hat die jW-Redakteurin C. W. am 16. Juni 2015 unter der Überschrift »Bundesanwaltschaft mauert« in jW über den NSU-Prozess berichtet: Ein mutmaßlicher NSU-Attentäter hat in einem Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 eine Bombe platzen lassen, die die Tochter des Inhabers schwer verletzte. Das daraufhin von Vater und Schwester des Opfers angefertigte Phantombild brachte die damalige Leiterin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes M. K. dazu, mehrere dienstliche Erklärungen an diverse Behörden abzugeben. Denn sie erkannte in dem Phantombild Ähnlichkeiten mit dem bekannten Kölner Neonazi J. H. Später ergänzte sie, dass dieser J. H. seit 1989 als von der Behörde gesteuerter Spitzel tätig sei. Hinzu kommt, dass J. H. vorbestraft ist: wegen eines Sprengstoffdeliktes. Weil im NSU-Prozess bisher keinerlei Verhörakten auftauchten, fragte jW-Autorin C. W. bei der Bundesanwaltschaft nach, ob der Neonazi J. H. denn dazu je befragt wurde. Welche Tätigkeit in diesem Zusammenhang entfaltet worden sei, wollte Pressesprecherin F. K. aber nicht mitteilen. Die damalige Leiterin des Verfassungsschutzes M. K. ließ sich jedenfalls vier Monate nach ihren Mitteilungen aus persönlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand versetzen.
So haben wir das in junge Welt berichtet. Das Problem: Im Beitrag wurde der bekannte Kölner Neonazi mit Namen genannt. Darauf reagierte der Anwalt Prof. Dr. R. H. mit einem scharfen Schreiben. Neben wirren Behauptungen verlangt der Anwalt schließlich im Namen seines Mandanten J. H., dass junge Welt eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung unterschreiben soll, nach der sie künftig dessen Namen nicht mehr nennen darf. Desweiteren soll Schadensersatz gezahlt werden. Alleine der Anwalt beansprucht für seine Dienstleistung über 2.000 Euro. Der Geschäftsführer der jungen Welt, D. K., wies die Forderungen zurück. Er wertete sie als Versuch, Informations- und Pressefreiheit einzuschränken. Daraufhin erwirkte der Anwalt beim Landgericht Köln am 17. Juli 2015 eine einstweilige Verfügung (ohne Verhandlung), in der es unter anderem heißt: »Der Antragsgegnerin (also junge Welt, D. G.) wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung bis zu 250.000 Euro, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, (…) Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt 2 Jahre nicht übersteigen darf und an ihrem Geschäftsführer zu vollstrecken ist, verboten, über den Antragssteller (also J. H., D. G.) im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag in der Probsteigasse in Köln aus dem Jahr 2000/2001 identifizierend (also mit Namen, D. G.) zu berichten (…).«
Bisher war es nicht sonderlich problematisch, bekannte Nazis namentlich zu nennen. Auch wenn sie behaupten, sich gewandelt zu haben. Jener J. H., der nun nicht mehr namentlich genannt werden will, war Kamerad und gelegentlich auch Stellvertreter von A. R., der sich wiederum lange und gerne »Hitler von Köln« nennen ließ. Bis zum Januar 2011, denn da wollte er mit Hilfe seines Anwalts J. L. erreichen, dass junge Welt ihn künftig nicht den »selbsternannten Hitler von Köln« nennen dürfe. Weil er ja nicht personenidentisch mit der Person Adolf Hitler und mittlerweile reifer und vernünftiger sei, wie A. R. unter anderem argumentierte. Der Fall schaffte es zwar nur bis zum Prozesskostenhilfeverfahren – aber auch hier reizte A. R. alle Möglichkeiten bis zum Oberlandesgericht aus. Das hielt abschließend fest, dass die junge Welt mit der Veröffentlichung und Verbreitung des angegriffenen Artikels das Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen und A. R. das hinzunehmen habe und sein Persönlichkeitsrecht dahinter zurücktrete. Dabei sei entscheidend, »ob und in welchem Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene seinerseits an dem … Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat.« (5. Juni 2012, 15W11/12) Einfacher formuliert: Wer öffentlich als Nazi auftritt und agiert, muss sich auch gefallen lassen, dass er mit Klar- oder Spitznamen erwähnt wird.
Und damit das so bleibt, wird junge Welt – wenn es sein muss – auch einen langen, harten Prozess durchstehen. Wer die Zeitung unterstützen will, kann dies vor allem mit einem Print- oder Onlineabo, gerne aber auch mit einer Spende in den Prozesskostenfonds tun. D. G.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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