Geheimdienstthemen im Prozess unerwünscht
München. Viele hatten am Dienstag im Münchner NSU-Prozess damit gerechnet, Antworten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf den Fragenkatalog des Gerichts zu hören – wenn auch nur verlesen durch einen ihrer Anwälte. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl schien allerdings nicht überrascht zu sein, dass es nicht dazu kam. Das Gericht nutzte die Zeit, um bekanntzugeben, dass mehrere Beweisanträge abgelehnt worden seien, die Nebenklagevertreter schon vor längerer Zeit gestellt hatten. Zwei davon hatten einen Geheimdienstbezug. Einer betraf die Zeugenladung des ehemaligen V-Mannes Michael von Dolsperg alias »Tarif«, der die rechte Propagandapostille Sonnenbanner herausgegeben hatte. Nach eigenen Angaben war Dolsperg 1998 von dem Neonazi André Kapke nach einem Versteck für das damals frisch untergetauchte Trio gefragt worden, das dann den NSU gegründet haben soll. »Tarif« sagte später gegenüber Journalisten und in Vernehmungen, er habe diese Information damals zügig an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet. Wäre sie dort entsprechend gewürdigt worden, hätten Zschäpe und ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereits vor dem ersten Mord festgenommen werden können, argumentierten die Opferanwälte in dem Beweisantrag vom März 2014. In der Ablehnungsbegründung des Gerichts heißt es, diese Annahme sei »lediglich theoretischer und hypothetischer Natur«, aber ohne Folgen für die Strafzumessung. Außerdem könne sich der Zeuge André Kapke nicht daran erinnern, dass er Dolsperg nach einem Versteck gefragt habe. Die auffälligen Gedächtnislücken von Kapke findet das Gericht demnach plausibel. Keine oder nur eine vernachlässigbare Bedeutung für das Verfahren hat nach Götzls Auffassung auch ein Strategieartikel von Dolsperg im Sonnenbanner, der sich mit der Bildung eines Zellensystems für den Untergrundkampf befasste. Nach Aussage des Ex-V-Mannes hatte der Verfassungsschutz die Veröffentlichungen in dem Magazin abgesegnet.
Gegenstand eines weiteren Beweisantrags, der am Dienstag in München abgelehnt wurde, war die Gegenüberstellung eines V-Mann-Führers mit dem ehemaligen »Blood and Honour«-Funktionär Marcel Degner, der vor Gericht eine Tätigkeit als »Quelle« für den Thüringer Verfassungsschutz abgestritten hatte. Es steht Aussage gegen Aussage – das Gericht bewertete die des Geheimdienstbeamten als glaubwürdig: Dieser habe Degner als seine Quelle »Hagel« identifiziert. (clw)
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