Butzke auf Wunsch
Von Eike StedefeldtEin Grund, erneut auf die Ritterstraße 26 zu sprechen zu kommen, ist der schlimme Verdacht, dass »Ritter Butzkes« multipel zugedröhnte Tanzjugend den auch via Lobeckstraße 30–35 zugänglichen Gewerbehof gar selten ungetrübten Blicks bei Tageslicht wahrnimmt. Die denkmalgeschützten, von Georg Lewy geplanten rot-gelben Klinkerbauten mit Pilastern und Rundbögen wurden 1898 fertig. Die 60er Jahre muteten ihnen gestaltlose Erweiterungen zu, an deren Beton alle Kosmetik versagte. Seit hier 1997 die Fertigung auslief, findet sich unter bröckelnden, verblassenden Anstrichen mit dem blauen Schriftzug »AQUA Butzke-Werke AG« eine der ödesten Ecken Kreuzbergs.
Die Marke »AQUA« war übrigens, wie der Auftrag an Lewy, nicht auf dem Mist jenes Friedrich Butzke gewachsen, in dessen Privatleben und seit 1887 in der Ritterstraße 12 ansässiger Fabrik für Sanitärarmaturen wir unlängst herumschnüffelten (jW vom 5. Februar). Vielmehr hatte im Gründungsjahr 1873 auch sein Konkurrent Bernhard Joseph 14 Häuser weiter ein Armaturenwerk etabliert. Als die Aktionäre der F. Butzke & Co. AG am 20. Dezember 1926 die Fusion mit dem Nachbarn billigten, zog dies die Teilung in Gießerei und Verwaltung (Ritterstraße 12–14) sowie Montage (Nr. 26) und die Straffung des Sortiments nach sich. »Die Firma Bernhard Joseph AG brachte auch den AQUA-Druckspüler in diese Firmen-Ehe ein«, notierte 1988 die Chronik »Die vergessenen Tempel. Zur Geschichte der Sanitärtechnik« zum 100. Geburtstag der Aktiengesellschaft. Deren »Verwässerung« zur »AQUA Butzke-Werke AG« kam erst fünfzig Jahre nach der Gründung.
»Die Firma ›Wolf Netter & Jakobi-Werke K.-G. a. A., Berlin‹ besaß 1936 vom gesamten Butzke-Kapital (1.800.000 RM) nom. 1.431.000 RM Aktien; eine Mehrheit an der Butzke-Joseph AG war bereits nach dem ersten Weltkrieg von ihr aus dem Besitz der Familie Butzke erworben worden.« Warum könnten die Haushistoriker die mit der Fusion völlig neuen Eigentumsverhältnisse der »F. Butzke-Bernhard Joseph A. G.« in dem einen Satz versteckt haben?
Um Schwung zu holen für diesen Salto Nazionale: »Als die Inhaber der Firma Wolf Netter & Jacobi den Verkauf ihrer Werke beabsichtigten, hatten die Mannesmann-Röhrenwerke als Käufer an der Butzke-Joseph AG als artfremdem Unternehmen kein Interesse. Wolf Netter und Jacobi bemühten sich daher um einen separaten Verkauf, der jedoch im offenen Markte damals schwierig für sie war. Die Berliner Handelsgesellschaft und die Deutsche Bank erklärten sich auf Wunsch der Wolf Netter & Jacobi-Werke bereit, die Durchführung der mit den Mannesmann-Röhrenwerken in Aussicht genommenen Transaktion dadurch zu erleichtern, dass sie das Paket der Butzke-Joseph-Aktien für ein von diesen Banken gebildetes Konsortium übernahmen, und die außerordentliche Hauptversammlung der Butzke-Joseph AG vom 29. November 1937 beschloss damit einhergehend die Namensänderung in Butzke-Werke Aktiengesellschaft.«
Huch, das schöne Wort »Arisierung« fehlt? In rassereinen Heimatschnulzen passiert das. Wolf Netter & Jacobi, 1833 im Elsass gegründet, seit 1925 mit Sitz in Berlin, war in Europa führend bei Rohren, Feinstahlblechen und Bibliotheksregalen. Ludwig Netter und Julius Seligsohn-Netter, 1936 Inhaber des jüdischen Familienunternehmens, sowie ihr Prokurist Eduard Goldschmidt mussten die Stahlsparte vor ihrer Flucht nach England weit unter Wert an die Mannesmannröhren-Werke AG veräußern. Dass die noch jedes Verbrechen kreditierende Deutsche Bank und die 1933 »arisierte« Berliner Handels-Gesellschaft »das Paket« der F. Butzke-Bernhard Joseph AG einstrichen, konnte nur »auf Wunsch« der Enteigneten geschehen sein. Den Terminus »Zwangsverkauf« kannte man ja 1988 noch nicht – jedenfalls nicht auf Westdeutsch.
Wie den der »Zwangsarbeit«, weshalb in der AQUA-Festschrift jede Spur von zwei Betreibern fehlt, die auf der vom Historiker Bernhard Bremberger entdeckten »Liste der Lager ausländischer Zivilarbeiter« des Polizeiamts Berlin-Mitte von 1941 auftauchen: »Butzke-Werke AG, Armaturen, Ritterstr. 12–14« und »F. Butzke, Schrauben-Industrie und Fassondreherei GmbH, Brandenburgstr. 74–75«, seit November 1962 Lobeckstraße.
Dass sich hier lange, bevor Berlin von der Industrie- zur Partymetropole und Butzke zur Location verkamen, junge Leute zu mehr als zu harten Beats bewegen ließen, lobte Barbara Köster 2005 in ihrer Dissertation »Die Junge Garde des Proletariats«. So müsse die von Lehrlingen im Oktober 1927 bei »Butzke & Joseph« gegründete Zelle des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), die Jugendstreiks und Proteste gegen prügelnde Meister anzettelte und die Zeitung Der rote Hahn herausgab, »nicht zuletzt aufgrund ihrer relativen Stabilität als vorbildlich eingeschätzt werden«.
Was sind dagegen die wummernden Bässe beim »Ritter Butzke«, dessen stolzes Warenzeichen »AQUA« mittlerweile im Namen eines Schweizer Armaturenkonzerns verrottet.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Runter mit den Fahnen
vom 19.02.2016 -
Vorstufe Stuxnet
vom 19.02.2016 -
Alles außer »Social music«
vom 19.02.2016 -
Foto der Woche
vom 19.02.2016 -
Nachschlag: Kapital rausschlagen
vom 19.02.2016 -
Vorschlag
vom 19.02.2016