»In unserer Mitte«. Klassik für Flüchtlinge in Berlin
Von Sigurd SchulzeAhlan wa-sahlan« – als Angehörige, nicht Fremde, seid ihr gekommen und sollt es leicht haben. Auf Arabisch (und zudem Farsi) wurden am Dienstag 2.200 Flüchtlinge in der Berliner Philharmonie begrüßt. »Willkommen in unserer Mitte« war das Motto des Sonderkonzertabends, den Daniel Barenboim und die Staatskapelle mit Mozarts Klavierkonzert in d-Moll eröffneten, der Dirigent saß am Flügel. Anschließend sorgte das Konzerthausorchester unter Iván Fischer (»Fühlen Sie sich wie zu Hause!«) mit Prokofjews Symphonie Nr. 1 für aufgeräumte Stimmung. Es ging lockerer zu als gewöhnlich. Die Musiker trugen keinen Frack, sondern offene Hemden. Zwischen den Sätzen gab es Jubelrufe, Kinder kicherten oder flitzten durch den Saal. Abschließend ließ Simon Rattle die Berliner Philharmoniker mit solcher Leidenschaft durch Beethovens Siebte fegen, dass das Publikum von den Sitzen aufsprang. Die stürmische Begeisterung bewegte die Musiker sichtlich. An Beifall gewöhnt, sahen sie ein seltenes Leuchten in den Gesichtern.
Eine Glanzleistung war die Organisation. Die kostenlosen Tickets waren über Hilfsorganisationen und Initiativen vergeben worden. Mehr als 5.000 Interessierte gab es. Die Eingeladenen kamen in kleinen Gruppen von jeweils einem Dutzend Personen zum Teil von weit her, aus Cottbus oder Fürstenberg an der Havel. Lehrer, Ärzte, Ingenieure waren darunter, die intensiv Deutsch lernen, um ihre Berufe wieder ausüben zu können.
Schirmherrin Angela Merkel wurde von den Veranstaltern beschworen wie der Geist, der über den Wassern schwebt. Ihr Nichterscheinen war möglicherweise der Sorge vor Selfies geschuldet, die ihr von innerparteilichen Widersachern gerade im Landtagswahlkampf verübelt worden wären. Mit Blick auf das Motto des Abends bleibt zu sagen, dass Zehntausende gar nicht erst in unsere Mitte gelangen, sondern in »besonderen Aufnahmeeinrichtungen« abgefangen, überprüft und abgeschoben werden. In unserer Mitte hieße im Wohnhaus, in der Kita, in der Schule, in Lohn und Brot.
Bedauerlicherweise werden in deutschen Konzertsälen auch andere Töne angeschlagen. Wie die Kölner Philharmonie am Mittwoch bestätigte, wurde der iranische Cembalist Mahan Esfahani bei einem Konzert am Sonntag von der Bühne gepöbelt. »Sprich Deutsch!«, riefen Zuhörer dem aus England angereisten Musiker zu, nachdem er die Störer auf Englisch gefragt hatte: »Wovor haben Sie Angst?«
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