Delaware: Größte Finanzoase der Welt
Der winzige US-Bundesstaat bewirbt sich als »die Unternehmenshauptstadt der Welt«. Delaware hat 950.000 Einwohner. Größte Stadt und Geschäftszentrum ist Wilmington mit 71.500 Bewohnern. Briefkästen heißen hier Unternehmenseinheit (Business entity) oder Spezielle Zweckgesellschaften (Special purpose entity; SPE). Davon gibt es zahlreiche Varianten. Personen oder Unternehmen, die sich eine solches Konstrukt einrichten lassen, sind in Delaware nicht tätig oder wohnhaft. Eine SPE braucht keine Vermögens-, Erbschafts-, Mehrwert- und Einkommenssteuern zahlen. Sie kann Vermögenswerte vor dem Zugriff von Gläubigern zurückhalten und verdeckt Immobilien, Unternehmen und Wertpapiere kaufen und verkaufen.
Es gibt kein haftendes Eigenkapital und keinen Datenaustausch, Bilanzen werden nicht veröffentlicht: organisierte und legalisierte Verantwortungslosigkeit. Die meisten »Wertpapiere«, die die Finanzkrise 2008 verursachten, waren in Delaware-SPE versteckt. US-Präsident Barack Obama mag sich kritisch geben, aber sein Vize Joseph Biden ist der oberste Lobbyist der kriminalitätsfördernden Branche: Er vertrat als Senator drei Jahrzehnte deren Interessen in Washington. Zwei Drittel der 500 größten US-Konzerne sind hier registriert, darunter Goldman Sachs, Coca-Cola, Google, General Motors, McDonald’s, Amazon und das größte Kapitalunternehmen der Welt, die Fondsgesellschaft Blackrock.
Über 50 Prozent aller US-Unternehmen haben hier ihre SPE. Auch europäische Konzerne nutzen das Angebot: Allein die Deutsche Bank unterhielt 2014 450 Einheiten im Gesamtwert von 317 Milliarden US-Dollar (281 Milliarden Euro), z. B. Azurix Argentina, DB Energy Trading und TRS Landsbanki Islands. Offiziell haben mehr als eine Million Unternehmen in Delaware rechtlich ihren Sitz – es dürften wegen der Tochtereinheiten, die für jede SPE gebildet werden können, sehr viel mehr sein.
Der Staat Delaware kassiert für eine genehmigte Einheit jährlich 300 US-Dollar und weitere Gebühren. Das ergibt über eine Milliarde Dollar im Jahr und macht ein Fünftel der Staatseinnahmen aus. Die Behörde führt ein Register mit 105 lizenzierten privaten Agenturen, etwa Global Corporate Services und Intertrust Corporate Services. Sie erstellen den passenden Gesellschaftsvertrag, richten ein Konto in anderen Finanzoasen ein, stellen fiktives Personal, was je nach Variante mehrere tausend Dollar Einrichtungs- und jährliche Verwaltungsgebühr kostet, bis über 100.000 Dollar. Das ist die größte Wirtschaftsbranche in Delaware. Hier steht übrigens auch das größte Leichenhaus des US-Militärs, wo die armen, tot heimkehrenden Kinder des Imperiums versteckt werden. (wr)
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vom 15.04.2016