Shakespeare – Für die Gasse und den Hof, Dritter Akt: »Der Kaufmann von Venedig«
Von Hagen BonnWer zuerst Antisemit ruft, hat gewonnen! Richard Wagner, Martin Luther, Bambi und: ja, auch Shakespeare. Denn wir wissen es alle: Sein Kaufmannsstück hat Auschwitz weder verhindert noch dazu kritisch Stellung bezogen. Der leichtfertige Autor hat bewusst mit antisemitischen Klischees jongliert, als er einen Kaufmann in der damaligen Welthandelsmetropole Venedig einen Juden sein ließ. Und dieser jüdische Kaufmann wird auch noch dargeboten, wie es jede politische Korrektheit seit Jahrzehnten verbietet. Man stelle sich einmal vor: Der Kaufmann … wie soll ich das sagen, sorry, also dieser Kaufmann – verkauft! Er ist geschäftstüchtig, will Gewinn machen. Wie kann Shakespeare nur so grob verallgemeinern? Wieso war der Held nicht, sagen wir, eine kubanische Zigarrendreherin? Weil er sich nicht mit der Krebsliga anlegen wollte?! Seien wir ehrlich, schon sein Othello (»der Mohr«) war sehr verdächtig!
Am meisten stört aber das Ende des Stücks. Der Jude wird ein »braver Mann«, ein Christ sogar. Kurz, Shakespeare hat alles falsch gemacht, und so muss jedes Theater der Neuzeit im Ensemble diskutieren, wie man den Antisemitismus aus dem Stück herausoperiert. Soll man auf Erfahrungen aus Tel Aviv zurückgreifen? Dort spielt man Wagner ohne Musik, Text und Bühnenbild. Sicher, Luthers Pogromvorschläge von 1543 nebst der Wittenberger »Judensau« bleiben besser unerwähnt, wenn zionistische Ehrengäste im Schloss Bellevue dinieren. Peinlich vielleicht, dass der Gastgeber Lutheraner ist, so wie 30 Prozent der Deutschen. Ja, man kann sich das nicht aussuchen, oder?
Immerhin treten sie bei uns seit einiger Zeit zu Hunderttausden aus der Luther-Kirche aus. Aus der päpstlichen auch. Die Mörder von Jesus waren Juden, aber Jesus war auch Jude. Mein Teddybär ist übrigens kein Jude. Der ist wie ich Atheist. Wir teilen auch Shakespeares heitere Skepsis gegen die Glaubenseiferer aller Couleur. Das war um 1600 völlig normal in London, Wittenberg, Mühlhausen …
Morgen: Vierter Akt – Die Sonette
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