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Aus: Ausgabe vom 17.05.2016, Seite 7 / Ausland

Null Toleranz für Pazifisten

Ukrainischer Kriegsdienstgegner muss dreieinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er für ­friedliche Lösung im Donbass eintrat
Von Frank Brendle
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Eingeschworene Mörderbande: Soldaten des faschistischen »Azow«-Bataillons leisten vor dem Einsatz im Donbass ihren Eid (Kiew, 23.6.2014)

Der ukrainische Kriegsdienstgegner Ruslan Kotsaba ist vergangene Woche vom Stadtgericht des westukrainischen Iwano-Frankiwsk zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht sprach ihn der »Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der Streitkräfte« für schuldig. Kotsaba, mittlerweile einer der bekanntesten politischen Häftlinge der Ukraine, sitzt bereits seit Februar vergangenen Jahres in Untersuchungshaft.

Grund für die Verurteilung von Kotsaba ist sein Eintreten für eine friedliche Lösung des Konflikts im Donbass. Ende Januar 2015 hatte er in einer Videobotschaft erklärt, er werde nicht auf seine »Brüder im Osten« schießen, und dazu aufgerufen, Einberufungsbescheide zum Militär zu verweigern.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin »Staatsverrat« vorgeworfen. Um das zu untermauern, wurden vor Gericht allerlei Reportagen Kots­abas angesehen, der als Journalist etwa Dorfbewohner über ihre – geringe – Neigung zum Kämpfen befragt hatte. Außerdem wurden zahlreiche Mitschnitte angehört, die Telefongespräche von Kotsaba mit Vertretern russischer Medien wiedergaben. Der Journalist wurde offenbar schon Monate vor seiner Verhaftung abgehört.

Als »Beleg« für Kotsabas Absicht, die Souveränität der Ukraine zu untergraben, musste unter anderem die Tatsache herhalten, dass er nicht den Begriff »Antiterroroperation« verwendet, sondern schlicht von einem »Bruderkrieg« spricht und die Tatsache anprangert, dass auf andere Menschen geschossen wird, »nur weil sie lieber alleine leben wollen«. Unverzeihlich in den Augen der Anklage war zudem, dass er eines im Donbass nicht gesehen haben wollte: russische Truppen. Damit, so die krude Logik, habe er dem »Aggressorstaat« – also Russland – Vorschub geleistet.

Dabei ist Kotsaba weit davon entfernt, »prorussische« Tendenzen zu pflegen. In der Vergangenheit stand er eher auf der Seite derjenigen, die jetzt in der Ukraine das Sagen haben. 2005 engagierte er sich für die »orange Revolution«, 2014 für den Maidan, bei den Wahlen stimmte er für Präsident Poroschenko – alles in der Hoffnung auf eine demokratischere Ukraine, soziale Reformen und weniger Korruption. Diese Hoffnung sieht er allerdings restlos verraten.

Amnesty international stuft Kots­aba als politischen Gefangenen ein, auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) fordert seine sofortige Freilassung. In der Ukraine selbst gibt es angesichts der drohenden Repressionen kaum offene Unterstützung für ihn. Aus Sorge darum, dass allzu offene Menschenrechtsverletzungen wiederum der russischen Propaganda dienen könnten, haben aber auch einige mit westlichen Geldern operierende Organisationen den Prozess kritisiert.

Wohl unter diesem Eindruck wies das Gericht die weitgehende Anklage des »Staatsverrats« zurück, auf den eine Mindeststrafe von zwölf Jahren Haft steht. Das Strafmaß von dreieinhalb Jahre dürfte ausreichen, etwaige Nachahmer abzuschrecken. Laut ukrainischen Medienberichten warf das Gericht Kotsaba vor, »in Anwesenheit eines Fernsehteams des Aggressorstaates versucht zu haben, von der Mobilisierung Betroffene Ukrainer zu provozieren und zu negativen Äußerungen über die Mobilisierung zu verleiten«. Das und sein Aufruf zur Verweigerung sei geeignet gewesen, die Tätigkeit der Streitkräfte zu behindern. Kotsabas Anwältin, Tetjana Montjan, hat umgehend Berufung angekündigt.

Der Journalist selbst bleibt seinen Ansichten treu. Die politische Elite der Ukraine bezeichnete er als »Schlächter«, weil sie keine friedliche Lösung des Konflikts wolle. Das Urteil kommentierte er mit den Worten: »Das ist kein Sieg, sondern eine Niederlage für die Ukraine. Wir haben nicht das Recht, die Ukraine einen demokratischen europäischen Staat zu nennen.«

Das Gericht ordnete an, einen Tag Untersuchungshaft wie zwei Tage Strafhaft anzurechnen. Die Haftbedingungen waren in der Tat extrem – im Winter herrschten in der Gefängniszelle oftmals nur Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die verbleibende Reststrafe beträgt jetzt noch rund ein Jahr.

Vortragsreise mit der Uljana Kotsaba, der Ehefrau des Journalisten, in Deutschland vom 30. Mai bis 3. Juni: connection-ev.org/veranstaltungen

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