Völkerrecht in Trümmern
Am 24. März 1999 gegen 20 Uhr begann die NATO mit der Bombardierung serbischer Städte aus der Luft sowie mit Marschflugkörpern, die von U-Booten aus abgefeuert wurden. Die Bundesluftwaffe beteiligte sich von Anfang an. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gab es nicht, Jahre später räumte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ein, dass der Krieg völkerrechtswidrig gewesen war – der erste deutsche Angriffskrieg seit 1945.
Noch am 24. März erhielt jW ein Gedicht des Liedermachers und Schriftstellers Franz Josef Degenhardt (1931–2011), das einen Tag später auf der Titelseite erschien. Es begann mit den Worten: »Deinem Urgroßvater haben sie erzählt: Gegen den Erbfeind. Für das Vaterland. Und er hat das tatsächlich geglaubt. (…) Deinem Großvater sagten sie: Gegen die slawischen Horden. Für die abendländische Kultur. Er hat das wirklich geglaubt. (…) Deinem Vater erzählen sie jetzt: Gegen die Völkermörder. Für die Menschenrechte. Für den Frieden. Unglaublich – er glaubt’s.«
Der NATO-Luftkrieg gegen Serbien und Montenegro bedeutete eine Zäsur – die »westliche Wertegemeinschaft« verübte erstmals seit dem Ende der Sowjetunion Staatsterror und legte nicht nur Städte und Dörfer in Trümmer, sondern auch das Völkerrecht. Für jW und ihre Leserschaft markierte dieser Tag ebenfalls einen tiefen Einschnitt: Mehr noch als zuvor verstehen wir uns seitdem als tägliche Zeitung gegen imperialistischen Krieg. Er wurde in den folgenden zwei Jahrzehnten Alltag. Viele Leserinnen und Leser wissen seit 1999: In jW erhalten sie Gegeninformationen, die woanders nicht zu lesen sind. Nicht wenige aber waren damals irritiert und fragten uns empört: Steht jW jetzt auf Seiten des »Schlächters von Belgrad«, wie die übrige deutsche Presse den gewählten serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic nannte? Auch unter Linken zeigte der mediale Druck Wirkung. jW-Kommentator Werner Pirker (1947–2014) schrieb in der Ausgabe vom 24. März 1999, also vor Beginn der Bombardierungen: »Die ›Serbien muß sterbien‹-Propaganda von 1914 war gegenüber dem totalen Medienkrieg 1999 von geradezu Wienerischer Gelassenheit. (…) Der globale Machtanspruch des Westens bedarf der behaupteten Existenz von Schurkenstaaten. An der Spitze dieser Länder haben Schurken mit absoluten diktatorischen Vollmachten zu stehen.«
Mit jedem Krieg des Westens seit 1999 stellten sich diese Sätze als wahr heraus: Der Krieg begann lange vor dem ersten Schuss in den Staats- und Konzernmedien. Viele, die unsere Haltung zunächst kritisierten, erkannten im nachhinein deren Berechtigung. Unsere Überzeugung ist: Kriegszeiten wie diese, in denen sich in Venezuela das Szenario von 1998 und 1999 wiederholt, in denen die Taz zum Frauentag die Bundeswehr für Freiheit, Sicherheit und Gleichberechtigung werben lässt, brauchen die junge Welt.
Wir werden an die »humanitäre Intervention« der NATO von 1999 mit Analysen, Kommentaren, einer Beilage und ab dem 15. März mit einem Kriegstagebuch von Rüdiger Göbel erinnern. Wer ein kostenloses Probeabo abschließt, wird alles lesen können. Krieger brauchen Kontra.
Arnold Schölzel
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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