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Aus: Ausgabe vom 10.05.2019, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Toxische Substanz

Von Michael Saager

Woody Allen hatte auch schon mal bessere Zeiten. Vor allem in seinem Heimatland, den USA. Da macht der mittlerweile 83jährige New Yorker Filmemacher also, was berühmte Künstler in dem Alter eben so tun, nämlich schnell noch die Memoiren runterschreiben, bevor der Zug des Lebens abgefahren ist. Und dann will sie niemand aus der dortigen Verlagslandschaft auch nur mit der Kneifzange anfassen. Zu heiß bzw. »zu toxisch«, so ungefähr lässt sich das Urteil der Verlagsmanager zusammenfassen. Die New York Times schrieb, Allens Agent habe die Autobiografie vier großen amerikanischen Verlagshäusern angeboten, aber keines hätte ein Angebot abgegeben.

Das ist natürlich sehr wenig, andererseits: Was hatte Allen denn erwartet? Er wird ja vermutlich mitbekommen haben, dass die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan Farrow von 1992 im Zuge der »#MeToo«-Bewegung noch einmal richtig hohe Wellen geschlagen haben. So hoch, dass die US-amerikanische Kulturindustrie nun anscheinend bereits Angst um ihre Finanzen kriegt, wenn sie den Namen Allen nur laut denkt. Moralische Bedenken mögen damit einhergehen – oder auch nicht. Das weiß man in solchen Fällen nie so genau. Bestens bekannt ist indes die fantastische Streitsumme von 68 Millionen Dollar, die Allen laut Klageschrift von dem Medienriesen Amazon bekommen möchte, weil das Unternehmen einen Vertrag mit Allen über vier Filme gekündigt hat. Sein jüngster Spielfilm »A Rainy Day in New York« wird daher in den USA nicht zu sehen sein.

Weniger Berührungsängste mit der toxischen Substanz »Woody Allen« gibt es in Europa, China, Japan, Korea, Latein- und Südamerika sowie in Russland. Den Film mit Elle Fanning, Selena Gomez, Timothée Chalamet und Jude Law will man sich hier keineswegs entgehen lassen. Das Genre? Romantische Komödie. Wie wundervoll.

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