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Aus: Ausgabe vom 02.08.2019, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund

Alte Parole

Wie viele andere antisemitische Parolen stammt auch die Aussage »Die Juden sind unser Unglück«, die zum Leitsatz des NS-Hetzblattes Der Stürmer wurde, aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurde von Heinrich von Treitschke (1834–1896) geprägt, zu Lebzeiten einer der einflussreichsten konservativen Historiker und Publizisten in Deutschland. Treitschke formulierte die Aussage in einem Artikel, der im November 1879 in den von ihm herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern unter der Überschrift »Unsere Aussichten« erschien. Der Aufsatz löste den »Berliner Antisemitismusstreit« aus und machte nach Einschätzung von Historikern eine »respektable« Form des Antisemitismus salonfähig.

Treitschkes Aufsatz unterstellte den deutschen Juden, sie wollten ihre »kulturelle Eigenart« offensiv gegenüber dem »Deutschtum« behaupten. Das betrachtete er als undankbar, weil die ihnen gewährte Emanzipation ihre Teilhabe am Leben der Nation ermögliche. Alles Gute verdankten die Juden der Anpassung an die deutsche Welt, dem Judentum selbst wohne keine positive Kraft inne, so der Historiker. Die Lösung der »Judenfrage« bestehe in der Assimilation, die aber bisher nur von wenigen gewählt worden sei wie etwa dem Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Als Religion sei das Judentum ein überlebtes Relikt, das für den Nationalstaat eine Gefahr bedeute, weil es die Bildung eines »übernationalen jüdisch-säkularen Netzwerks« begünstige.

Die Rassenlehre, die damals von Antisemiten wie dem Ökonomen Eugen Dühring zur Grundlage der Nationalidee stilisiert wurde, lehnte Treitschke ab. Zwar sprach auch er von der »Mischkultur« als »zersetzendem« Faktor, auf den das gesunde »germanische« Volksempfinden mit Abwehr reagieren müsse. Allerdings hielt er eine »Blutvermischung« zwischen Juden und Nichtjuden nicht grundsätzlich für schlecht, sondern betrachtete sie auch als Mittel zur Assimilation, da sie »doch zu allen Zeiten das wirksamste Mittel zur Ausgleichung der Stammesgegensätze war«.

Der Historiker wurde von Teilen der liberalen Presse scharf angegriffen. Seine Haltung führte zu vielen Zerwürfnissen mit Kollegen, wie zum Beispiel dem nicht weniger angesehenen Kollegen Theodor Mommsen. Der Historiker Golo Mann charakterisierte Treitschkes Haltung 1961 mit den Worten: »Zugleich mit der Judenemanzipation, der neuen bürgerlichen Angleichung, erscheint der neue Antisemitismus. Aber er ist zunächst nicht das, was wir uns darunter vorstellen; er verlangt nicht Ausschließung, sondern völlige Angleichung und Bescheidenheit in der Angleichung; er verlangt Ausschließung nur derer, die sich nicht angleichen wollen.« (kst)

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