Venedig traut sich
Mit zwei ungewöhnlichen Entscheidungen sind die Filmfestspiele in Venedig zu Ende gegangen: Mit dem Goldenen Löwen wurde am Samstag abend der Hollywoodfilm »Joker« ausgezeichnet, während der Große Preis der Jury an Roman Polanskis Politthriller »An Officer and a Spy« über die Dreyfus-Affäre ging.
Mit dem Publikumsliebling »Joker« wurde erstmals eine Superheldencomicadaption zum »besten Film«. Kritiker priesen vor allem Joaquin Phoenix in der Hauptrolle, der die Wandlung eines labilen Außenseiters zum Horrorclown und Gegenspieler von »Batman« facettenreich und glaubwürdig darstelle.
Hitzig diskutiert wurde vor allem die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals für Polanskis Film. Der in Frankreich lebende Starregisseur und Holocaustüberlebende entzog sich 1977 einem Verfahren in den USA wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen. Die US-Filmakademie hatte Polanski im vergangenen Jahr ausgeschlossen, Venedigs Jurypräsidentin Lucrecia Martel boykottierte ein Galadinner für ihn. Der 86jährige selbst blieb dem Festival fern. Manche Kritiker warfen Polanski vor, »schamlos« Parallelen zwischen seinem Fall und dem Schicksal des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus zu ziehen, der Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich zu Unrecht wegen Landesverrats verurteilt worden war.
Als bester Schauspieler wurde am Samstag der Italiener Luca Marinelli für seine Rolle in »Martin Eden« ausgezeichnet, beste Schauspielerin wurde die Französin Ariane Ascaride für »Gloria Mundi«. Wenige Stunden zuvor hatten mehr als 300 Klimaaktivisten den roten Teppich vor dem Filmpalast besetzt. Mit der Aktion am Samstag morgen protestierten die Teilnehmer des »Klimacamps von Venedig« gegen den unzureichenden Kampf gegen die Erderwärmung. (AFP/jW)
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