Schuldspruch für Serebrennikow
Ein Moskauer Bezirksgericht hat den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow (50) und drei Mitangeklagte wegen Veruntreuung von Fördergeldern schuldig gesprochen. Der Leiter des populären Moskauer Avantgardetheaters Gogol-Zentrum erhielt eine dreijährige Bewährungsstrafe, zwei Mitarbeiter jeweils zwei bzw. drei Jahre auf Bewährung. Zudem müssen sie das veruntreute Geld zurückzahlen. Eine vierte Angeklagte erhielt eine Geldstrafe. Das berichtete die Agentur Interfax am Freitag. Die Staatsanwaltschaft hatte für Serebrennikow sechs Jahre Haft beantragt. Dieser hat nach Überzeugung des Gerichts mit seinen Kollegen 129 Millionen Rubel (1,6 Millionen Euro) unterschlagen, die seine Produktionsfirma zwischen 2010 und 2014 vom Kulturministerium erhalten hatte. Regierungssprecher Dmitri Peskow sagte laut Interfax, dass der Fall analysiert werden müsse – auch mit Blick auf die staatliche Finanzierung der Kultur.
Serebrennikow hatte in seinem Schlusswort am Montag seine Unschuld beteuert und hervorgehoben, dass in dem Verfahren keine Beweise vorgelegt worden seien. Zugleich räumte er ein, dass die Buchhaltung seines Theaters schrecklich organisiert gewesen sei. Er verstehe aber nichts von Finanzen, sagte er. Deshalb gebe es Experten dafür. Die ehemalige Chefbuchhalterin seiner Firma hatte Serebrennikow belastet. Laut Generalstaatsanwaltschaft seien Dokumente absichtlich vernichtet worden. Im vergangenen Jahr war Russlands bekanntester Filme- und Theatermacher nach mehr als anderthalb Jahren im Hausarrest mit Einschränkungen auf freien Fuß gekommen.
Von linken und liberalen Kräften war der Prozess skandalisiert worden, auch weil die Beweisführung der Anklage mangelhaft war. Vor einem Jahr hatte ein Gutachten Serebrennikow entlastet. Das zunächst mit dem Fall befasste Gericht hatte diesen im September 2019 wegen zahlreicher Widersprüche und fehlender Details in der Anklage an die Generalstaatsanwaltschaft zurückgegeben. Diese hatte daraufhin Berufung eingelegt und recht bekommen. Westliche Medien instrumentalisieren das Verfahren und halten Russland vor, »Schauprozesse« gegen kritische Künstler durchzuführen.
Der Fall wird von der liberalen Kunstszene Russlands als politisch aufgefasst. Der gesellschaftskritische und offen schwul lebende Serebrennikow ist ein Feindbild konservativer russischer Kräfte um die orthodoxe Kirche. Tausende Kulturschaffende des Landes haben einen Unterstützerbrief für ihn unterzeichnet, in Moskau kam es zu Protesten. Nach seiner Festnahme 2017 hatten mehrere russische Theaterleiter erklärt, es sei bei geltender Rechtslage fast unmöglich, Projekte mit staatlichen Zuschüssen ohne Verstöße gegen Vorschriften abzurechnen. Präsident Wladimir Putin nannte den Fall Serebrennikow damals sensibel und betonte, dass das zugrundeliegende Gesetz nicht optimal sei. Trotzdem sei die Kunstfreiheit garantiert. Serebrennikow arbeitete auch im Hausarrest weiter an Inszenierungen an renommierten nationalen und internationalen Bühnen. (dpa/jW)
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