Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 28.09.2020, Seite 10 / Feuilleton

Frozen Green Orange Iced Tea

Von Pierre Deason-Tomory

Morgens um neun im Coffeeshop im Erfurter Hauptbahnhof. Eine Frau sitzt vorne am Fenster mit Blick zum Durchgang. Sie hat mir den Rücken zugewandt, trägt einen kurzen, hellbraunen Rock, schwarze Strumpfhosen und ein schwarzes Oberteil. Ihr dichtes, blondes Haar ist hochgesteckt. Vor sich hat sie Papiere ausgebreitet, in beiden Händen hält sie je ein Mobiltelefon. Sie ruft »Hallo? Hallo?« ins rechte, doch der Gesprächsteilnehmer antwortet nicht.

Sie legt das eine Telefon hin, behält das andere aber in der Hand, greift mit der rechten nach dem Glas und trinkt einen Schluck. Gelblich trübe Brühe mit Minze und Strohhalm. Ich vergleiche ihr Getränk mit den Abbildungen an der Tafel, es ist wohl ein »Frozen Green Orange Iced Tea«.

Sie probiert es noch mal, »Hallo? Hallo!« Der Teilnehmer nimmt jetzt wieder am Ferngespräch teil, es folgt eine kurze Unterhaltung, ich kann leider nichts aufschnappen.

Sie wird eine gestresste Unternehmerin sein, oder eher mittleres Management. Super straight jedenfalls. Ich schiele nach ihren Papieren, auf denen eine dünne Lesebrille liegt. Oh! Es sind Notenblätter! Also kein mittleres Management. Musikerin? Echt?

Das Gespräch ist vorbei, sie packt ihre Sachen zusammen und trinkt den Eistee mit Gemüse aus, zieht ihr beiges Jäckchen an und wirft den braunen Rucksack über die Schulter. Sie ist keine Instrumentalistin, der Rucksack ist zu klein für eine Violine oder ein Blasinstrument, da würde nur eine Piccoloflöte reinpassen. Vielleicht Komponistin? Nein. Kein Stift und kein Radiergummi. Eine Dirigentin? Wer weiß, wie Dirigentinnen aussehen, sie sind sehr selten. Warum eigentlich?

Mein Vater hat früher gerne diesen Musikerwitz erzählt: Was ist der Unterschied zwischen einem Orchester und einer Kuh? Die Kuh hat vorne die Hörner und hinten das Arschloch. Sobald es endlich mehr Dirigentinnen gibt, wird dieser Witz aussterben. Außer, es setzt sich in der Umgangssprache rechtzeitig das Wort Arschlöchin durch. Was ich nicht hoffe.

Sie verlässt den Coffeeshop und geht nach rechts in Richtung Aufgang zu den Gleisen 1 und 2, ich kann kurz ihr Profil erspähen: Sie hat feines Gesicht mit einer spitzen Nase und – sie lächelt! Sie läuft an einem regnerischen Nachsommermorgen um kurz nach neun durch den grauenvollen Erfurter Hauptbahnhof und lächelt! Dirigentin ist sie also auch nicht.

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