Hintergrund: Mit Furor gegen Linke
»Chefchaotin im Minirock zum Richter«, titelte am 6. November 2020 Bild und zeigte ein Foto der kurz zuvor in Leipzig festgenommenen Aktivistin Lina E., wie sie in Handschellen in Karlsruhe von schwerbewaffneten Polizisten aus einem Hubschrauber der Bundespolizei geholt wird, um der Generalbundesanwaltschaft vorgeführt zu werden. Sexismus ist für das Boulevardblatt ohnehin kein Problem, und die Unschuldsvermutung gilt sowieso nicht. Der Generalbundesanwalt sei sich sicher, heißt es im Beitrag zum Foto, dass die Studentin aus dem Leipziger Stadtteil Connewitz »ein führender Kopf der linksextremen Szene ist«.
Das Produzieren von Bildern, die festgenommene Personen in die Nähe von Terroristen rücken, ist einer der vom Staat erwünschten Effekte, wenn es gegen linke Aktivisten geht. Dazu griffen die Ermittlungsbehörden zuletzt wieder vermehrt auf den Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs – »Bildung einer kriminellen Vereinigung« – zurück, der auch im Fall Lina E. bemüht wird. Ihr wird vorgeworfen, einen Überfall auf eine bei Neonazis beliebte Kneipe im thüringischen Eisenach im Oktober 2019 und einen Überfall auf deren Wirt zwei Monate später organisiert zu haben. Kritiker sehen die Festnahme von Lina E. im Kontext der zunehmenden Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement.
Auch gegen die Gruppe »Roter Aufbau Hamburg« setzen die Behörden den Paragraphen 129 ein. Ende August 2020 durchsuchten mehr als 200 Polizisten 28 Objekte – Wohnungen der Aktivisten und Einrichtungen der Gruppe – und stellten, wie es in einer Presseerklärung der Ermittler hieß, »umfangreiches Beweismaterial« sicher. Bereits seit 2019 ermittle der Staatsschutz des Hamburger Landeskriminalamts gegen 22 Mitglieder der Gruppe »wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung«, so die Mitteilung. Die Razzien dienten – wie das gesamte Verfahren – ganz offenbar auch der Einschüchterung der Aktivisten. So traten beim bekanntesten Aktivisten der Gruppe, Halil Simsek, SEK-Beamte mit Maschinenpistolen im Morgengrauen die Tür ein.
Der Paragraph 129 des Strafgesetzbuches wird von Staatsanwaltschaften und Polizei gern genutzt, um linke Gruppen zu bedrohen und zu kriminalisieren. Ob sich der Vorwurf am Ende vor Gericht erhärten lässt, ist für die Ermittler meist zweitrangig. Der Tatvorwurf allein gibt ihnen die Handhabe für weitreichende Ermittlungen. Der Paragraph 129 ist vor allem ein Instrument, um linke Strukturen zu durchleuchten und sensible persönliche Daten zu sammeln. Zugleich können Gruppen und Einzelpersonen in der Öffentlichkeit als Kriminelle dargestellt und stigmatisiert werden. (kst)
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