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Aus: Ausgabe vom 11.11.2021, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: Brief an Biden

Am 17. September erklärte US-Präsident Joseph Biden den Konflikt in Äthiopien zu einer nationalen Sicherheitsbedrohung für die USA und ermöglichte damit Sanktionen gegen alle Beteiligten. Darunter gegen die äthiopische Regierung, die seit dem 4. November 2020 den bewaffneten Aufstand der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) militärisch bekämpft. Am 2. November verstärkte Washington den Druck, indem es Addis Abeba vom »Africa Growth and Opportunity Act« – einem Präferenzabkommen im Handelsbereich – aufgrund »grober Verstöße gegen international anerkannte Menschenrechte« suspendierte. Das wirkt sich nach offizieller Einschätzung auf die Lebensgrundlage von mehr als 200.000 einkommensschwachen Familien aus. Ebenfalls am 17. September schrieb Äthiopiens Premier Abiy Ahmed einen offenen Brief an Biden. Im folgenden dokumentiert jW dieses Schreiben in redaktionell bearbeiteter Form.

Sehr geehrter Herr Präsident,
ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief zu einer Zeit, in der unschuldige Zivilisten (…) gewaltsam vertrieben, ihre Lebensgrundlagen zerstört, ihre Familienangehörigen getötet und ihr Eigentum (…) von der TPLF vorsätzlich zerstört wurden.
Dieser Brief kommt zu einer Zeit, in der unsere Kinder in der Region Tigray von den Überresten einer Organisation, die vor kurzem von unserem Repräsentantenhaus als »terroristisch« eingestuft wurde, als Kanonenfutter benutzt werden.

Während die ganze Welt aus den falschen Gründen auf Äthiopien und seine Regierung blickt, hat sie es leider versäumt, die Terrorgruppe offen und streng zu tadeln, so wie sie meine Regierung getadelt hat. Die zahlreichen Anstrengungen, die die äthiopische Regierung unternommen hat, um die Region zu stabilisieren und die humanitären Bedürfnisse in einem von der TPLF geschaffenen feindlichen Umfeld zu befriedigen, wurden ständig falsch dargestellt. Die jüngste Politik der USA gegen mein Land kommt nicht nur für unsere stolze Nation überraschend, sondern übersteigt ganz offensichtlich humanitäre Bedenken.

Die Unterdrückung politisch Andersdenkender, ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen, die Erstickung demokratischer Rechte und die Vereinnahmung des Staatsapparats und der Institutionen zur Vergrößerung einer kleinen Gruppe, die 27 Jahre lang ein Land mit Millionen von Menschen ohne Rechenschaftspflicht regierte, stieß bei verschiedenen westlichen Staaten, einschließlich der USA, auf wenig bis gar keinen Widerstand.

Der Zeitraum 2015–2018, in dem die TPLF durch einen Volksaufstand von der Macht verdrängt wurde, ist bezeichnend für die Haltung, die Millionen Menschen in diesem großen Land gegen ein kriminelles Unternehmen eingenommen haben. Die Erfolgsgeschichte der TPLF, die eine ethnische Gruppe gegen die andere ausspielt, um ihr eigenes politisches Überleben zu sichern, endete nicht im Jahr 2018. (si)

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