GEW thematisiert Radikalenerlass
Leipzig. Es führte kein Weg daran vorbei. Auf ihrem außerordentlichen Gewerkschaftstag letzte Woche in Leipzig thematisierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ihre Rolle im Zuge des Radikalenerlasses, der vor 50 Jahren beschlossen worden war, explizit.
Die Ausstellung zu Berufsverboten war so positioniert, dass kein Teilnehmer oder Gast daran vorbeikam – auf dem Gang zur Halle, in der die Delegierten das Tagesprogramm absolvierten. Auf einer der Schautafeln ein Kasten zur »Rolle der Gewerkschaften«: »Mit Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Denunziation unterstützten die Gewerkschaften die Grundrechtseinschränkungen des »Radikalenerlasses«. Bereits 1949 bis 1955 waren 654 DGB-Mitglieder wegen »kommunistischer Tätigkeit« ausgeschlossen worden. Zwischen 1972 und 1975 erfolgten in der ÖTV (Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr) 148 Ausschlüsse wegen Unterstützung »linksextremistischer« Organisationen. Bis Mai 1977 kündigte der GEW-Bundesverband 204 Mitgliedern »wegen Verstoßes gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse« die Mitgliedschaft in der Organisation. Einige Gewerkschaftsausschlüsse waren erst der Anstoß zur Einleitung von Berufsverbotsverfahren. Die Betroffenen konnten wegen der immensen Verfahrenskosten ohne Rechtsschutz der Gewerkschaft nicht einmal eine Klage riskieren.
Mehrere GEW-Landesverbände verweigerten jedoch die Übernahme der Unvereinbarkeitsbeschlüsse – der von Westberlin bis zuletzt. Das führte 1975 zum Ausschluss dieses Landesverbandes mit 13.000 Mitgliedern. Viel später hat die GEW-Spitze das alles verurteilt und sich 2012 bei den Betroffenen entschuldigt und deren Rehabilitierung und materielle Entschädigung gefordert.
Auch die jetzige Vorsitzende der GEW, Maike Finnern, erinnerte auf dem Gewerkschaftstag am Freitag an die historische Verantwortung ihrer Organisation. Sie sprach allerdings von 124 Frauen und 169 Männern, die auf Basis des Unvereinbarkeitsbeschlusses in den 1970er Jahren wegen »Mitgliedschaft oder Unterstützung« von K-Gruppen aus der GEW geworfen worden seien. »Jeder Einzelfall ist einer zu viel.« Dafür entschuldige sie sich bei den Betroffenen. Finnern wandte sich gegen Versuche, den Radikalenerlass aufleben zu lassen. Verfassungstreue lasse sich nicht durch Gesinnungsprüfungen feststellen.
Der ehemalige Ressortleiter Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, übernahm in seiner Rede die liberal-bürgerliche Einordnung der von den Bundes- und Landesregierungen verfügten Kommunistenhatz. Dementsprechend kam er zu dem Schluss, der Verfassungsschutz habe versagt. Es könne nicht um pauschales Misstrauen gehen, sondern um belastbare Einzelfälle. Die damalige Regelanfrage habe mehr Schaden angerichtet als verhindert. (jW)
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