Gegenkultur entdecken
Von Dietmar KoschmiederEiner der schärfsten und konsequentesten deutschen Aufklärer nach 1945 war der vor zehn Jahren verstorbene Kabarettist Dietrich Kittner. So skizzierte er eindringlich, wem den angeblich unabhängigen Richtern in der deutschen Nachkriegszeit die Sympathie galt: Der Zigarettendieb, so rechnet Kittner anhand von realen Urteilen vor, muss pro gestohlener Zigarette mehr Tage Haft absitzen als der Nazifunktionär pro nachgewiesenem Mord. Wer aber nicht mit flachen Witzen, sondern mit solch bösen Beispielen sein Publikum beeindruckt, hat keine Chance, von bürgerlichen Medien adäquat wahrgenommen zu werden. Sein Fernsehauftrittsverbot galt ihm jedoch als Gütesiegel. Um so wichtiger ist es, dass linke Kräfte diese Arbeit würdigen und sie weiterhin für sich nutzen.
Kein Zufall ist es, dass Dietrich Kittner und die junge Welt vieles verbunden hat. Er beteiligte sich an Rettungskampagnen und spendete in diesem Zusammenhang der jungen Welt auch seine legendäre Mütze, mit der er bei seinen Auftritten viele Spenden eingesammelt hat (so auch für die Finanzierung der Soliarbeit im Berufsverbotsverfahren gegen den Autor dieser Zeilen). Natürlich prägte Dietrich Kittner mit seinen Kulturbeiträgen auch die Rosa-Luxemburg-Konferenz. Als wir Ende 2006 erleben mussten, dass Dietrich in einem Kabarett im Westberliner Axel-Springer-Hochhaus vor gerade mal 30 Teilnehmenden spielte, organisierte die junge Welt seinen legendären Auftritt im Kino Babylon am 25. März 2007: Die 600 Plätze waren schnell restlos ausverkauft. Dietrich stellte damals sämtliche Einnahmen der jW zur Verfügung. Und natürlich war Kittner langjähriger Abonnent dieser Zeitung. Es dauerte zwar Tage, bis die gedruckte Ausgabe sein Domizil in den österreichischen Bergen erreichte – aber, so stellte er immer wieder fest, in dieser Zeitung findet man auch dann noch viele Dinge, die woanders nicht zu erfahren sind.
Dankenswerterweise haben Wegbegleiter, Freunde und Kollegen des Ausnahmekünstlers eine Revue zusammengestellt, mit der man am kommenden Donnerstag in der Berliner jW-Maigalerie einen hervorragenden Einblick in dessen Schaffen bekommen kann: Es werden Kittner-Texte zitiert, die erstaunlich aktuell geblieben sind, interpretiert von einem weiteren langjährigen Freund dieser Zeitung: dem Schauspieler Rolf Becker. Susi Duhme stellt Videoschnipsel von Auftritten und Interviews (zum Teil aus dem Privatbesitz des Künstlers) vor, durch das Programm führt Franziska Schneider von der Stiftung kultureller Förderung und Bewahrung des Lebenswerkes von Dietrich und Christel Kittner. Darüber hinaus kommen zahlreiche Freunde des Künstlers zu Wort.
Dieser Abend wird all jenen Kraft geben, die wie der Künstler konsequent links geblieben und mit ihm politisch groß geworden sind. Er ist aber auch ein guter Einstieg für alle, die diesen Ausnahmekünstler erst noch für sich entdecken wollen.
- Die Veranstaltung »Dietrich Kittner: Gütesiegel Fernsehverbot« findet statt am Donnerstag, den 23. November 2023, in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt, Torstr. 6, 10119 Berlin. Einlass ist ab 18 Uhr, Beginn um 19 Uhr.
- Eintrittspreis: 5 € Normalpreis/ 10 € Solipreis
- Bitte um Voranmeldung unter maigalerie@jungewelt.de
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Leserbrief von Helmut Türk-Berkhan aus Rosenheim (21. November 2023 um 12:44 Uhr)Sehr gut und schön, Dietrich und Christel Kittner in Erinnerung zu bringen, oft frage ich mich, was hätten die beiden zu diesem und jenem heute gesagt – sie fehlen, wie so viele Mitstreiterinnen. Die Stiftung hält die Gebäude in Dedenitz in Schuss und hat drei schöne Ferienwohnungen – der kleine Ort unweit der Grenze zu Slowenien liegt »hinter« den Bergen in der Prekmurje.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (19. November 2023 um 13:03 Uhr)Er bleibt uns allen unvergessen – ich bringe nur eine seiner zahllosen unvergleichlichen Feststellungen: »Der Jugoslawien-Krieg kann für die Bundesregierung so teuer nicht gewesen sein. Gleich als erstes hat sie das Automobilwerk in Kragujevac zerbomben lassen. Die Automarken »Zastava« und »Yugo« gibt es seitdem nicht mehr. Da sollte man doch annehmen, dass die Firmen Daimler-Chrysler, Volkswagen und Opel – um nur einige zu nennen – wenigstens je eine Rakete gesponsert haben. Die Konkurrenz so durchschlagend auszuschalten, gelingt nun nicht wirklich oft!« Sein Schmerz über den entsetzlichen Jugoslawien-Krieg und dessen Folgen gehört für mich zu den berührendsten Erinnerungen an Dietrich Kittner.
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vom 18.11.2023