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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Das Ende des »alten« Kapitalismus in Europa

Lenin 1916: Freie Konkurrenz bringt überall Monopole hervor, wirtschaftspolitische Unterschiede zwischen kapitalistischen Ländern unwesentlich
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Statt einer vorübergehenden Erscheinung werden die Kartelle eine der Grundlagen des gesamten Wirtschaftslebens: Massenproduktion im VW-Werk Wolfsburg 1962

Vor einem halben Jahrhundert, als Marx sein »­Kapital« schrieb, erschien der überwiegenden Mehrheit der Ökonomen die freie Konkurrenz als ein »Naturgesetz«. Die offizielle Wissenschaft versuchte das Werk von Marx totzuschweigen, der durch seine theoretische und geschichtliche Analyse des Kapitalismus bewies, dass die freie Konkurrenz die Konzentration der Produktion erzeugt, diese Konzentration aber auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung zum Monopol führt. Das Monopol ist jetzt zur Tatsache geworden. (…) Die Tatsachen zeigen, dass die Unterschiede zwischen einzelnen kapitalistischen Ländern, zum Beispiel in bezug auf Schutzzoll oder Freihandel, bloß unwesentliche Unterschiede in der Form der Monopole oder in der Zeit ihres Aufkommens bedingen, während die Entstehung der Monopole infolge der Konzentration der Produktion überhaupt ein allgemeines Grundgesetz des Kapitalismus in seinem heutigen Entwicklungsstadium ist.

Für Europa lässt sich die Zeit der endgültigen Ablösung des alten Kapitalismus durch den neuen ziemlich genau feststellen. Es ist der Anfang des 20. Jahrhunderts. In einer der neuesten zusammenfassenden Arbeiten über die Geschichte der »Monopolbildung« lesen wir: »Man kann aus der Zeit vor 1860 einzelne Beispiele kapitalistischer Monopole anführen; man kann in ihnen den Ansatz zu den Formen entdecken, die uns heute so geläufig geworden sind; aber all das ist durchaus Vorgeschichte. Der eigentliche Beginn der modernen Monopole liegt allerfrühestens in den sechziger Jahren. Ihre erste große Entwicklungsperiode hebt mit der internationalen Depression der siebziger Jahre an und reicht bis zum Beginn der neunziger Jahre … Europäisch betrachtet, kulminiert die freie Konkurrenz in den sechziger und siebziger Jahren. Damals beendete England den Ausbau seiner kapitalistischen Organisation alten Stils. In Deutschland drang sie kräftig vor gegen Handwerk und Hausindustrie und begann, sich ihre Daseinsform zu schaffen.«

»Die große Umwälzung beginnt mit dem Krach von 1873 oder richtiger mit der ihm folgenden Depression, die mit einer kaum merklichen Unterbrechung anfangs der achtziger Jahre und einem ungewöhnlich heftigen, aber kurzen ›Boom‹ um das Jahr 1889 herum 22 Jahre europäischer Wirtschaftsgeschichte ausmacht … In der kurzen Hausseperiode von 1889/90 bediente man sich in starkem Maße der Kartellordnung zur Ausnützung der Konjunktur. Eine wenig überlegte Politik trieb die Preise noch schneller und noch stärker in die Höhe, als es vielleicht schon sonst geschehen wäre, und fast alle diese Verbände endeten ruhmlos im ›Graben des Kraches‹. Noch ein weiteres Lustrum schlechter Beschäftigung und niedriger Preise folgte, aber es war nicht mehr dieselbe Stimmung, die in der Industrie herrschte. Man sah die Depression nicht mehr wie etwas Selbstverständliches an, sondern hielt sie nur für eine Ruhepause vor einer neuen günstigen Konjunktur.

So trat die Kartellbewegung in ihre zweite Epoche. Statt einer vorübergehenden Erscheinung werden die Kartelle eine der Grundlagen des gesamten Wirtschaftslebens. Sie erobern sich ein Gebiet nach dem anderen, vor allem aber die Rohstoffindustrie. Schon zu Anfang der neunziger Jahre fanden sie in der Organisation des Kokssyndikats, dem dann das Kohlensyndikat nachgebildet wird, eine Verbandstechnik, über die man kaum wesentlich herausgekommen ist. Der große Aufschwung zu Ende des 19. Jahrhunderts und die Krisis von 1900–1903 stehen wenigstens in der Montan- und Hüttenindustrie zum ersten Male ganz im Zeichen der Kartelle. Und wenn man das damals noch als etwas Neuartiges ansah, so ist es dem Allgemeinbewusstsein inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, dass große Teile des Wirtschaftslebens der freien Konkurrenz regelmäßig entzogen sind.« (Theodor Vogelstein: Die finanzielle Organisation der kapitalistischen Industrie und die Monopolbildungen, Tübingen 1914)

Die wichtigsten Ergebnisse der Geschichte der Monopole sind demnach: 1. In den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die höchste, äußerste Entwicklungsstufe der freien Konkurrenz; kaum merkliche Ansätze zu Monopolen. 2. Nach der Krise von 1873 weitgehende Entwicklung von Kartellen, die aber noch Ausnahmen, keine dauernden, sondern vorübergehende Erscheinungen sind. 3. Aufschwung am Ende des 19. Jahrhunderts und Krise von 1900–1903: Die Kartelle werden zu einer der Grundlagen des ganzen Wirtschaftslebens. Der Kapitalismus ist zum Imperialismus geworden.

Die Kartelle vereinbaren Verkaufsbedingungen, Zahlungstermine u. a. Sie verteilen die Absatzgebiete untereinander. Sie bestimmen die Menge der zu erzeugenden Produkte. Sie setzen die Preise fest. Sie verteilen den Profit unter die einzelnen Unternehmungen usw.

N. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Petrograd 1917. Hier zitiert nach: ­Wladimir Iljitsch Lenin: Werke, Band 22. Dietz-Verlag, Berlin 1974, Seiten 204–206

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