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Aus: Ausgabe vom 29.05.2024, Seite 12 / Thema
Repression gegen Fußballfans

Verbotszone Stadion

Betreten nicht gestattet: Klubs, Verband und Behörden hindern Fans über Hausrecht und Verfügungen am Support auf den Rängen. Staatsfeind Fan (Teil 3)
Von Oliver Rast
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Klare Signale von den Rängen. Fans des SV Werder Bremen beim Heimspiel ihrer Mannschaft gegen den SV Darmstadt 98, 24. Februar 2024

Es ist eine Art Empfangskomitee. Bullis der Polizei bilden einen Halbkreis am Bahnhofsvorplatz in Wolfsburg, Stoßstange an Stoßstange. Vor den uniformen Vehikeln stehen Uniformierte in voller Montur. Kein Ausbüxen möglich. Checkpoint! Eine blechern klingende Stimme sagt durch den Lautsprecher: »Wir werden jetzt sogenannte Sichtkontrollen freigeben, daraus können sich natürlich auch Durchsuchungsmaßnahmen ergeben.« Ein ungläubiges »Waaas?« raunt durch die Menge. Einige bekunden ihren weiteren Unmut in Zwiegesprächen, verständlich ist das in der zwölfsekündigen Videosequenz aber nicht.

Die Betroffenen: Hunderte Fans aus Bremen. Der SV Werder war Gast beim VfL Wolfsburg am 6. August 2022. Auftaktkick der Saison 2022/2023, erstes Spiel für die Werderaner nach dem direkten Wiederaufstieg in die Belle Etage des deutschen Profifußballs. Es hätte für die Anhängerschaft aus der Hansestadt ein Aufgalopp nach Maß werden sollen. Irrtum. Die eilfertige Polizeiinspektion Wolfsburg-Helmstedt hatte etwas dagegen, stufte die Partie entgegen vormaliger Praxis als »Rotspiel« ein, als »Risikospiel«. Deshalb die Kontrollstelle samt »Interventionen«. Doch Sichtung und Durchsuchung am Mittag an der Verkehrsstation werden ein Nachspiel haben. Ein juristisches. Denn eine festgesetzte Werder-Anhängerin wird klagen, sich gegen die Polizeischikanen wehren. Exemplarisch für alle Betroffenen. Dazu gleich.

»Risikopersonen« gesucht

Die Wolfsburger Beamten haben ihre eigene Lesart der Vorgänge. Diese nämlich: Die eingerichtete Kontrollstelle war nach dem Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) rechtens, hieß es in einer Stellungnahme am Tag nach dem Spiel. Es habe Anhaltspunkte gegeben für das Abbrennen von Pyrotechnik seitens der aktiven Fanszene aus Bremen in der VW-eigenen Arena. Somit handelte es sich um eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr, nicht um eine repressive der Strafverfolgung. Ferner suchten die eingesetzten Polizisten Gegenstände, die auf eine aktive oder passive Bewaffnung der »Risikopersonen« hindeuteten. Schlagwerkzeuge und Zahnschutz etwa, die regelmäßig bei körperlichen Auseinandersetzungen »rivalisierender Fanlager« zum Einsatz kämen.

Alles angemessen und verhältnismäßig, befanden die behördlichen Vollstrecker, zumal Personalienfeststellung und etwaige Durchsuchung »stark differenziert« durchgeführt worden seien. Übersetzt: Diejenigen, die in den Augen der Beamten als Ultras »gelesen« wurden, waren dran. Der väterliche Stadionbesucher konnte hingegen ohne Kontrolle weiter in die alte »Kraft-durch-Freude«-Stadt gen Arena unweit des Hauptbahnhofs am Allerpark.

Der Posten für Sichtung und Durchsuchung war das eine. Doch dabei blieb es nicht. »Erkennbaren Risikopersonen« war der Aufenthalt in der Wolfsburger Innenstadt »temporär untersagt« worden. Weshalb? Um den gemutmaßten Clinch unter Erlebnisorientierten beider Klubs schon im Vorfeld zu unterbinden. Für ein solches Bereichsverbot brauchte es nicht viel, lediglich eine »individuelle Gefahrenprognose«. Das werde halt so praktiziert, deutschlandweit und auch in Wolfsburg. Seit Jahrzehnten. Hieß es.

Juristischer Nachklapp

Der Aufzug der Polizei am Vorplatz, die Eingriffsrechte der Beamten: Zahlreiche Werder Fans waren nicht bereit, die Komparsen für diese Vorführung abzugeben. Sie traten die Rückreise an. Stante pede. Und verpassten das 2:2-Unentschieden auf den Rängen. Die waren teils lückenhaft, kein Support des Fanaktivs im Gästeblock. Dafür zwei Wandtapeten im Unterring – Protest in zwei Reimen: »Wolfsburger Polizei – Meister der Heuchelei. Freiheit stirbt mit Sicherheit«. Nur, geklärt war damit noch nichts, juristisch jedenfalls.

Eine Mutige klagte gegen die übergeordnete Polizeidirektion Braunschweig, wollte gerichtlich die Rechtswidrigkeit verschiedener Maßnahmen der Polizei feststellen lassen. Vom Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig. Anderthalb Jahre später, Ende Januar, folgte das Urteil ohne mündliche Verhandlung: In vier von sechs Punkten bekam die Klägerin recht, zwei Drittel der Polizeischikanen waren also rechtswidrig. Im Einzelnen waren das: die Feststellung der Identität der Betroffenen, die körperliche Durchsuchung samt Sachen, das Aufenthaltsverbot für das Wolfsburger Stadtgebiet und nicht zuletzt die Erhebung von personenbezogenen Daten der Klägerin im Zusammenhang mit den beanstandeten Maßnahmen. Diesbezügliche Daten seien zu löschen bzw. zu vernichten, so das Gericht. Überraschend war das Urteil nicht. Bereits im August 2023 hatte nach Angaben der VG-Kammer die Polizeidirektion Braunschweig eine sogenannte Teilanerkenntnis bei einem nicht öffentlichen Erörterungstermin abgegeben, das heißt, die Rechtswidrigkeit der vier benannten Maßnahmen eingestanden. Und auch der damalige niedersächsische Innenminister und heutige Bundeskriegsminister Boris Pistorius (SPD) hatte schon direkt nach den Vorfällen Versäumnisse der Polizei eingeräumt und erklärt: »Zur Fehlerkultur in einer modernen Polizei gehört auch, dass entsprechende Fehler erkannt und benannt werden.«

Zwei Makel bleiben. Die Klage gegen den polizeilichen Drohneneinsatz wies das VG ab. Begründung: Der Einsatzführer habe darlegen können, dass die Klägerin auf dem Bahnhofsvorplatz mit der Drohne nicht beobachtet werden konnte. Das Gericht stellte das Verfahren in diesem Punkt ein. Zudem haben die Verwaltungsrichter die Kontrollstelle an sich »aus prozessualen Gründen nicht bewertet«, bemerkte die Grün-Weiße Hilfe aus Bremen in einer Mitteilung. Deren Rechtswidrigkeit sei nicht eigenständig, sondern nur im Rahmen der Einzelmaßnahmen zu prüfen. Es bestehe aber nach alledem kein Zweifel, »dass die komplette Kontrollstelle rechtswidrig war«, so die Fanhelfer. Insofern sei die Gerichtsentscheidung für die Werder-Fans ein Sieg auf ganzer Linie.

Zudem belegten Verfahrensunterlagen, dass die Polizei Wolfsburg im Nachgang des Spiels die Öffentlichkeit vorsätzlich getäuscht habe. Die von ihr behaupteten »konkreten polizeilichen Erkenntnisse«, Bremer Fans würden Pyrotechnik mit sich führen, hatte es in Wahrheit nie gegeben. Das heißt auch, die Einsatzkräfte in der Autostadt sollten sich beim nächsten Bullihalbkreis am Bahnhofsvorplatz eine bessere Legende einfallen lassen.

Du bleibst draußen!

Stadionverbote sind ein heikles Thema. Für den DFB und die Vereine allemal. Im Oktober 2014 sind »Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten« in Kraft getreten. Eine Handreichung für Verbands- und Klubvertreter, abgestimmt Verbote für einen Stadionbesuch zu erwirken. Der Zweck sei demnach, »zukünftiges sicherheitsbeeinträchtigendes Verhalten zu vermeiden und den Betroffenen zur Friedfertigkeit anzuhalten, um die Sicherheit anlässlich von Fußballveranstaltungen zu gewährleisten«. Das Stadionverbot selbst ist eine zivilrechtliche präventive Maßnahme zur Gefahrenabwehr, keine staatliche Sanktion auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten.

Die Richtlinien kennen zwei Arten von Stadionverboten. Ein örtliches, auf eine Arena plus Umgebung bezogenes, und ein überörtliches Verbot, das bundesweit wirksam ist. Bei Verstößen gegen die Haus- und Stadionordnung (»minderschwerer Fall«) sprechen Vereinsverantwortliche ein örtliches Stadionverbot aus. Beispielsweise bei (wiederholten) Pöbeleien, die gegen die Menschenwürde gerichtet sind. Vermeintlich »schwer« bzw. »besonders schwer« wiegt der Fall bei Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch oder dem Einbringen und Abbrennen von Pyrotechnik in der Kurve. Die Folge: Stadionverbot bundesweit. Aber selbst Ingewahrsamnahmen oder Platzverweise können für Betroffene einen Ausschluss von Livespielen im weiten Rund bedeuten. Überall im Land. Und: Die Dauer des Stadionverbots ist nach dem »Schweregrad« gestaffelt, Minimum eine Woche, Maximum 60 Monate, also fünf Jahre. Niemand sollte sich etwas vormachen, der Infofluss zwischen Klubs und Behörden funktioniert. »Vereine leiten der örtlich zuständigen Polizei ein Exemplar der Liste über die bundesweit wirksamen Stadionverbote zu und unterrichten sie gleichzeitig über die nur örtlich geltenden Verbote«, steht in den Richtlinien. Die Festsetzung, Aufhebung, Aussetzung oder Reduzierung eines Stadionverbots obliegt grundsätzlich dem Hausrechtsinhaber, also zuvorderst dem Verein, fallweise aber auch dem DFB oder der DFL.

Nun zu den harten Zahlen: Bundesweit sind mit Stand vom 10. Januar dieses Jahres 739 Stadionverbote wirksam, 185 davon sind ausgesetzt, so das DFB-Presseteam gegenüber jW. Ein Vergleich zu den Vorjahren sei »aufgrund von Corona nicht repräsentativ und zielführend (teilweise waren gar keine Anhänger beziehungsweise nur wenige Anhänger in den Stadien zugelassen)«, erklärt der Verband weiter. Ferner gebe es keine Aufschlüsselung der bundesweiten Stadionverbote nach Vereinen.

Wie sieht es bei örtlichen Stadionverboten aus? Unklar. Auf jW-Anfrage wiegelten zahlreiche Klubverantwortliche ab. Tenor: Stadionverbote würden intern verhandelt, nicht extern kommuniziert – zumeist mit Verweis auf die DFB-Richtlinien. Einige reagierten indes etwas auskunftsfreudiger. So Vera Krings, Kommunikationschefin beim Zweitligisten Hertha BSC.

*

Wie viele Stadionverbote hat die Profiabteilung von Hertha BSC aktuell gegen eigene Fans verhängt? Und: Hat die Zahl in den vergangenen Jahren zu- oder abgenommen?

Wir bitten um Verständnis, dass wir zu der Anzahl keine Angaben machen. Es sind jedoch keine signifikanten Veränderungen in den vergangenen Jahren zu verzeichnen.

Okay, aber auf welcher Rechtsgrundlage werden bei Ihnen Stadionverbote verhängt?

Das Stadionverbot ist keine staatliche Sanktion auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten, sondern eine Präventivmaßnahme auf zivilrechtlicher Grundlage. Rechtsgrundlage für die Verhängung des Stadionverbots ist – im Einklang mit den »Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten« vom DFB – das Hausrecht.

Und wie werden Betroffene seitens der Profiabteilung über ein solches Verbot informiert?

Der Sicherheitsbeirat von Hertha BSC gibt allen potentiellen Adressaten die Möglichkeit, zum jeweiligen Fehlverhalten Stellung zu beziehen. Hierfür wird der potentielle Adressat zum Beirat geladen oder kann eine schriftliche Stellungnahme einreichen. Wir vergeben kein Stadionverbot ohne Anhörung des potentiellen Adressaten. Er kann die Situation, die Hintergründe und weitere Zusammenhänge schildern. Zudem versucht der Beirat den Bezug des potentiellen Adressaten zum Verein, zu Fangruppierungen und zum Sozialraum Stadion zu ermitteln. Dem Beirat ist unter anderem auch das sozialpädagogische Fanprojekt und die Fanbetreuung angehörig. Die Sozialpädagogen geben eine Einschätzung zum zukünftigen Gefahrenpotential des potentiellen Adressaten ab. Daraufhin wird geprüft, ob die Präventionsmaßnahme eines Stadionverbots ausgesprochen wird, oder ob alternative Maßnahmen zielführender sind.

Können Betroffene gegen die Maßnahme vorgehen, welche Möglichkeiten haben sie?

Gemeinsam mit Fanvertretern und -vertreterinnen, der Fanhilfe und dem Fanprojekt wurde ein Bewährungsmodell konzipiert. Dieses ermöglicht dem Adressaten eine intensivere Aufarbeitung und Reflexion des Fehlverhaltens. Die Bewährung ist an Auflagen, zum Beispiel in Form von Teilnahme an themenspezifischen Beratungs- und Hilfsangeboten entsprechender Einrichtungen, gebunden. Im Vorfeld des Ausspruchs eines Stadionverbotes hat der potenzielle Adressat also zunächst einmal die Möglichkeit zur Stellungnahme. Diese wird bereits bei dem Ausspruch des Stadionverbotes berücksichtigt. Zudem besteht die Möglichkeit der Aufhebung, Aussetzung oder Reduzierung eines Stadionverbotes gemäß Paragraph 7 der Richtlinie zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten. Hierfür kann gegebenenfalls ein Antrag des Adressaten notwendig sein.

Wird der DFB Ihrerseits über örtliche Stadionverbote in Kenntnis gesetzt? Um etwa ein bundesweites Stadionverbot zu erwirken?

Der DFB legt in den »Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten« fest, welches Fehlverhalten für ein örtliches Stadionverbot und bundesweites Stadionverbot vorausgeht. Da sich ein örtliches Stadionverbot lediglich auf die eigenen Veranstaltungen erstreckt, wird dieses unsererseits nicht an den DFB gemeldet.

Für wie lange wird bei Hertha ein örtliches Stadionverbot in der Regel ausgesprochen? Kann es automatisch verlängert werden?

Jeder Fall wird im Sicherheitsbeirat individuell behandelt und demnach sind auch die Maßnahmen in Art und zeitlicher Länge gänzlich individuell. Ein Stadionverbot kann sich nicht automatisch verlängern. Verstöße gegen ein bestehendes Stadionverbot oder entsprechende Bewährungsauflagen können zu einer Veränderung oder Verlängerung des bestehenden Stadionverbots führen.

Werden Sie durch Behörden über Betretungsverbote beziehungsweise Aufenthaltsverbote unterrichtet?

Nein. Es werden von der Polizei an Spieltagen Platzverbote ausgesprochen, die diese selbst kontrolliert.

Führt ein solches Betretungsverbot gleichfalls zu einem Stadionverbot bei Ihnen?

Nein.

Und umgekehrt: Informieren Sie Polizei oder Ordnungsbehörden über ein etwaiges Stadionverbot?

Ja, wir informieren die Behörden, wenn gegebenenfalls ein empfohlenes Stadionverbot ausgesprochen wurde.

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Stadtbummel ist nicht!

Im Gespräch mit Krings ist das weitere Stichwort bereits gefallen: Betretungsverbot. Mitunter fällt auch der sperrige Begriff »Bereichsbetretungsverbot« oder der eingängigere »Aufenthaltsverbot«. Diese Verbote sind allesamt behördliche Verfügungen, länderspezifisch unterschiedlich entweder von Ordnungsämtern oder Polizeien erlassen. Nicht von Vereinen oder Verbänden, wohlgemerkt. Was bedeutet das? Betroffenen wird untersagt, einen bestimmten Bereich, in der Regel eine Stadt oder Bezirke einer Stadt, zu betreten oder sich für einen bestimmten Zeitraum dort aufzuhalten. Solcherlei Verbote können für einen Spieltag gelten, für mehrere Spiele oder auch eine ganze Spielzeit. Behördenvertreter unterstellen, dass eine betroffene Person Straftaten in dem umrissenen Areal begehen werde.

Worauf stützt sich diese Annahme? Auf vermeintliche Tatsachen, etwa auf frühere Identitätsfeststellungen, laufende, aber auch eingestellte Ermittlungsverfahren. Ein Blick in die Datei »Gewalttäter Sport« (DGS) tut das übrige, bemerkt Fananwalt René Lau im jW-Gespräch. Perfide sei das. Warum? Die DGS ist eine Verbunddatei der Polizeien hierzulande. »Beamte schaffen sich damit selbst Begründungen für Betretungsverbote«; die übrigens neben unzähligen »Gefährderansprachen« in einzelnen Städten wieder vermehrt ausgesprochen würden. Auch, weil nicht mehr jeder Verein Stadionverbote einfach so erlässt, die von sogenannten szenekundigen Beamten (SKB) angeregt worden sind.

Wir halten fest, ein Betretungsverbot ist kein Stadionverbot. Eigentlich. Das Problem: Die Spielstätte liegt oftmals im lokalen Geltungsbereichs des Verbots. Ein simpler Trick gegen Fans, wissen Aktivisten der Fanhilfe Regensburg. Hinzu kommt: Betretungs- und Aufenthaltsverbote lassen sich schwer anfechten, »weil der Passus ›das Betretungsverbot bleibt auch bei Einspruch wirksam‹ meistens beigefügt ist«, so Fanhelferin Martina Hüttner zu jW. Und erfahrungsgemäß führen Eilanträge selten zum gewünschten Erfolg, nämlich der Aufhebung des Verbots. Davon abgesehen bleibt meist sehr wenig Zeit, um am Spieltag Rechtsschutz zu organisieren und einen Gerichtsentscheid zu erwirken. »Das wissen Behördenvertreter genau und das spielt ihnen in die Karten.«

Auch Oliver Wiebe kennt diese Beispiele aus dem Effeff. Er ist Pressesprecher der Fanhilfe Magdeburg und schildert seine Erfahrungen im Plausch mit dieser Zeitung.

*

Fahrten von Fans zu Auswärtsspielen haben wenig mit entspannten »Butterfahrten« zu tun. Wie ist das bei Supportern des Zweitligisten 1. FC Magdeburg, wenn sie zu Auswärtspartien aufbrechen und an den Bahnhöfen ankommen?

Als Fanhilfe beobachten wir seit Jahren ein sehr repressives Vorgehen gegen Fans bei Auswärtsspielen. Das beginnt schon beim Einsteigen in den Zug, wo in der Regel bereits hochgerüstete, oft komplett vermummte Polizisten am Bahnsteig Spalier stehen. Egal, ob es zum Derby geht oder zu irgendeinem unwichtigeren Spiel, die Polizei präsentiert sich häufig in voller Montur und ist wenig kommunikativ.

Konkret: Gibt es Vorkontrollen vor dem Einstieg in den Zug, eine Polizeibegleitung in den Waggons? Und werden Auswärtsfahrer am Bahnhofsvorplatz eingekesselt und gegebenenfalls zwangsweise postwendend in die Heimatstadt zurückgeschickt?

Zunächst vermitteln die Einsatzkräfte ein klares Bild: Wir gegen euch Fans. Das schafft eine Bedrohungslage, die unnötig ist. Oft werden Fans in eigene, überfüllte Waggons gepfercht, obwohl sie normale Bahntickets haben. Auf Umstiegsbahnhöfen gehört es dann zum traurigen Standard, dass sich Fans nicht selbst versorgen oder zur Bahnhofstoilette gehen können. Die Magdeburger Fans werden dann im Polizeikessel zum nächsten Gleis geschoben. Am Zielbahnhof wartet dann der nächste Polizeikessel, so dass die Fans weiter in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Das sind alles Maßnahmen der Polizei, an die sich Auswärtsfahrer gewöhnt haben, die aber zum Beispiel im Vergleich zu Konzertbesuchen, wo sich alle frei bewegen können, völlig absurd sind.

Und bisweilen spitzt sich die Situation während der An- oder Abreise zu …

Ja, die Lage ist bereits angespannt und Einsatzkräfte eskalieren weiter. Das sind negative Höhepunkte an Spieltagen für Auswärtsfahrer. Die Polizei stellt sich danach aber als Opfer von Fangewalt dar. Sie selbst reflektiert ihre oftmals rigorose, fanfeindliche Einsatzpraxis überhaupt nicht. Hier muss endlich ein Umdenken stattfinden.

Stichwort Stadionverbote. Wie viele bestehen aktuell gegen Anhänger des FCM? Gibt es eine Art Trend und wie kommuniziert dabei die Vereinsführung mit betroffenen Fans?

Aktuell hat die Magdeburger Fanszene eine leicht steigende Zahl von Stadionverboten zu verkraften, zumeist bei Auswärtsspielen. In den zurückliegenden Jahren gibt es hierzu aber mit dem 1. FC Magdeburg einen konstruktiven Austausch, damit Stadionverbote nicht vorschnell ausgesprochen werden und eine Anhörung der Betroffenen stattfindet, bevor das Verbot ausgestellt wird. So können sich Fans erklären und Vorwürfe gegebenenfalls aus dem Weg räumen. Das ist schon einmal viel Wert und leider nicht der Normalfall. Insgesamt ist die Situation in Magdeburg bezüglich der Stadionverbote entspannt. Wenn, dann kommt der Druck von außen, also vom DFB oder von den Landespolizeien anderer Bundesländer.

Behördliche Betretungsverbote und Stadionverbote gehen mitunter Hand in Hand. Wie ist das in Magdeburg?

Betretungsverbote sind in Magdeburg ein Mittel vergangener Tage. Davon unabhängig unterstützen wir als Fanhilfe jeden, der gegen polizeiliche Maßnahmen klagen will. Wir stellen insgesamt fest, dass der eingesetzte Polizeibeamte im Vollzug Gesetze regelmäßig ›vergisst‹, Schreibtischtäter hingegen eher abwägen, inwieweit bestimmte Verbote in Einklang mit den Rechten der Betroffenen stehen.

Verstehe ich Sie richtig: Einsatzkräfte agieren beliebig, gewissermaßen nach Tagesform?

Ganz grundsätzlich spiegeln sich im Konflikt Behörden versus Fans bestehende Machtverhältnisse wider. Sich gegen willkürliche Maßnahmen in einem engen Zug gegen vermummte und mit Waffen ausgestattete Polizeibeamte mit juristischen Argumenten oder anderweitig durchzusetzen, ist aussichtslos. Konsequenzen für solche Aktionen müssen Polizisten nicht fürchten. Offensichtlich rechtswidrige Betretungs- oder Stadionverbote sind jedoch gerichtlich angreifbar. Mit einem ordnungsbehördlichen Schreiben kann man zum Gericht gehen – bei einem mündlichen Platzverbot mit nachdrücklicher Androhung zur Durchsetzung mit unmittelbarem Zwang ist der Gang zum Gericht natürlich schwierig. Zwar wiegt ein Vorwurf des strukturellen Rechtsbruchs schwer, doch zeigt die Praxis, dass die Willkür der einzelnen Beamten den Alltag für Auswärtsfahrer eher prägt als Betretungsverbote oder ähnliches.

Dennoch: Sind Betroffene juristisch erfolgreich gegen Stadion- oder Bereichsbetretungsverbote vorgegangen?

Als Fanhilfe Magdeburg konnten wir schon in einigen Fällen, zusammen mit den Betroffenen und unseren Anwälten, eine Aussetzung des Stadionverbots erwirken. Oft können durch Anhörungen der Betroffenen mit dem Fanprojekt und Entscheidern im Verein die einzelnen Fälle nachbesprochen werden. Im Ergebnis zeigen sich Stadionverbote oft als überzogenes Mittel der Repression gegen Fans. Wir dürfen uns dahingehend aber auch nichts vormachen. Viele der großen Vereine, insbesondere in der ersten und zweiten Liga, sowie der DFB mit seinem Richtlinienkatalog, sind schlicht durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu verdonnert worden, ein Mindestmaß an Verfahrensvorschriften, wie eine Anhörung durchzuführen.

Aber es bleibt wohl dabei, Verbote werden niedrigschwellig ausgesprochen, oder?

Ja, deshalb kritisieren wir auch, dass allein schon die Sorge, dass von einer Person eine Gefahr für künftige Störungen ausginge, potentiell ein Stadionverbot legitimiert. Das Stadion ist aber mehr als nur ein Ort des Fußballschauens. Es ist für eine Vielzahl von Menschen der zentrale Ort ihrer Lebensführung neben Familie und Arbeit. Es ist ein Ort der Meinungsbildung und des Zusammenkommens – davon Menschen auszuschließen, weil man Sorgen um die öffentliche Sicherheit hat, verkennt die individuelle, aber auch gesellschaftliche Bedeutung des Stadionbesuchs.

*

Barrieren, Schikanen, Repressalien – typische Begleiterscheinungen für Fans. Ein Fazit, eine Realität. Besonders im Vorfeld der Europameisterschaft in Deutschland »merken wir Fußballfans, wie der Motor des Repressionsapparats angeworfen wird«, kritisiert Fananwalt Lau. In der Polizeiarbeit sei Deeskalation oft ein Fremdwort. Das beginne bei der Ankunft am Bahnhof beim Auswärtsspiel. Lau: »Die Kesselung der Fans und das zwangsweise Verbringen mit Bussen direkt zum Gästeblock ist da die Regel.« Und reicht das nicht, greifen weitere »Rechtsinstrumente«: Stadion- und Betretungsverbote. Kurzum, keine Spur von grundgesetzlich garantierter Freizügigkeit, nicht für Fußballfans.

Oliver Rast ist jW-Redakteur im Ressort Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Sportreporter.

Teil 1 der Serie »Staatsfeind Fan« erschien an dieser Stelle am 18. April 2024: Derby on Fire; Teil 2: Aufmarschort Arena am 2. Mai.

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