Bedarf spielt keine Rolle
Von Susanne Knütter![5.jpg](/img/450/195412.jpg)
Es sind krasse Zahlen, die der Berliner Mieterverein (BMV) am Dienstag präsentiert hat. Mindestens ein Drittel der Haushalte in Berlin kann sich die Miete nicht »aus eigener Kraft« leisten. Insbesondere kleine und große Haushalte. Sie zahlen durchschnittlich 45 Prozent ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete. Fast zwei Drittel der Haushalte in der Hauptstadt sind WBS-berechtigt. Das heißt, sie verfügen über ein Einkommen, mit dem sie auf dem freien Markt keine bezahlbare Wohnung finden und deshalb Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Betroffen davon sind längst nicht mehr »nur« Geringverdiener. Und der Wohnungsneubau? So wie er derzeit vonstatten geht, schafft er keine leistbaren Quartiere. Denn Kriterien wie Bedarf und Leistbarkeit spielen bei der Berliner Wohnungspolitik bislang keine Rolle.
Aus Sicht des BMV fehlten den politischen Handlungsträgern bis jetzt die Zahlen zur »Frage, welche Miethöhen für die Berliner Bevölkerung leistbar sind, und in welchem Umfang welche Art von Wohnraum entstehen muss«. Gemeinsam mit der Stadtforschungsgesellschaft Asum hat der BMV den Mikrozensus Wohnen 2022 dahingehend ausgewertet und die Maßnahmen von Politik und Wohnungswirtschaft bewertet. BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz fasste die Ergebnisse so zusammen: »Die Berliner Haushalte können sich überwiegend nicht leisten, was von den Eigentümern und Eigentümerinnen gefordert wird«. Und die derzeit genutzten wohnungspolitischen Instrumente der Landesregierung wie Förderrichtlinien im Neubau, Kooperationsvereinbarungen mit den landeseigenen Immobilienunternehmen oder der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 berücksichtigen wesentliche Teile der Berliner Bevölkerung nicht.
Im Gegenteil: Die Studie zeigt, dass bereits ein großer Teil an Haushalten der mittleren Einkommensgruppe WBS-berechtigt war. 2023 hat der Berliner Senat den Kreis der WBS-Berechtigten dann noch einmal erweitert. Und zwar um gut 305.000 Haushalte, die brutto weniger als 2.200 Euro (Single-Haushalte) bzw. 3.465 Euro (Zwei-Personen-Haushalte mit zwei Kindern) zur Verfügung haben. Angesichts des desolaten Wohnungsmarktes hat das jedoch lediglich zu einer weiteren Verknappung von bezahlbaren Wohnungen für rund 700.000 Berliner Haushalte der »alten« WBS-Stufen geführt.
Der Senat hätte, so Hamann-Onnertz, »die Stellschrauben bei den Miethöhen sowie den Vermietungs- und Neubauquoten gleichermaßen anpassen müssen.« Das betrifft die Mieterhöhungsspielräume der landeseigenen Wohnungsunternehmen (hat der Senat ausgeweitet statt begrenz) ebenso wie die Quote von Wiedervermietungen an WBS-Berechtigte (seit Jahren rückläufig). Schließlich sei der Kreis der WBS-Berechtigten um 25 Prozent angewachsen. »Das muss auch durch die Erweiterung der Vermietungsquoten der landeseigenen Unternehmen abgebildet sein«, forderte Hamann-Onnertz. Vor allem aber müssten leistbare Mieten im Bestand gesichert werden.
Die Studie zeigt auch: Wer viel verdient, nutzt viel Fläche und hat dennoch eineverhältnismäßig geringe Mietbelastung, während kleine Einkommen schon jetzt (zu) wenig Fläche bei hoher Belastung aufweisen. Wiedervermietungsmieten sind in den letzten zwölf Monaten zudem um über 15 Prozent auf 14,93 Euro pro Quadratmeter gestiegen, bemerkte die Gewerkschaft Verdi am Dienstag. Diese hätten sich damit »endgültig von normalen Einkommen entkoppelt«. Hinzu kommen häufig enorme Heizkostennachzahlungen. Verdi ruft daher gemeinsam mit IG Metall und IG BAU sowie BMV für Sonnabend in Berlin zur Demonstration unter dem Motto »Die Miete ist zu hoch« auf.
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