ANC vor Machtverlust
Von Christian Selz, Kapstadt![7.JPG](/img/450/195407.jpg)
Zumindest außenpolitisch zeigt Südafrikas Regierungspartei African National Congress (ANC) weiterhin klar Kante. »From the River to the Sea, Palestine shall be free«, skandierte Staats- und Parteipräsident Cyril Ramaphosa am Sonnabend vor knapp 70.000 Anhängern auf der Wahlkampfabschlusskundgebung der ehemaligen Befreiungsbewegung in Johannesburg. Innen- und vor allem sozialpolitisch wirkt der ANC jedoch seit langem durch Flügelkämpfe förmlich gelähmt. Den verheißungsvollen Anfängen mit dem Aufbau eines Sozialstaats unter Nelson Mandela in den 1990ern folgten bald selbstauferlegte Austeritätsprogramme. Seit 2011 sinkt der soziale Wohlstand wieder, die exportorientierte Wirtschaft stagniert. An diesem Mittwoch dürfte die Regierungspartei dafür nun die Quittung bekommen. Allen Umfragen zufolge wird der ANC erstmals seit dem Ende der Apartheid 1994 seine absolute Mehrheit im Parlament verlieren.
In Südafrika bricht damit drei Jahrzehnte nach Einführung der Demokratie aller Voraussicht nach ein neues politisches Zeitalter an. Wahrscheinlich ist, dass der ANC nach der Wahl einen Koalitionspartner braucht. Die größte Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) hat das im Wahlkampf einerseits dazu gebracht, vor einem »Linksrutsch« durch eine Koalition der Partei des Unternehmers und Multimillionärs Ramaphosa mit den linken Economic Freedom Fighters (EFF) um den ehemaligen ANC-Jugendligavorsitzenden Julius Malema zu warnen. Auf der anderen Seite bietet sich die neoliberale DA, die auf kommunaler Ebene ironischerweise selbst bereits Bündnisse mit den EFF eingegangen ist, auch selbst als Juniorpartnerin des ANC an.
Für den ANC birgt die Perspektive einer Koalition langfristig Spaltungspotential. Der linke Flügel der Partei versucht seit Jahrzehnten, Forderungen wie die Einführung eines einheitlichen, öffentlichen Gesundheitssystems, eine soziale Grundsicherung oder ein Verbot von Leiharbeit durchzusetzen. All diese Initiativen sind bisher jedoch vor allem am Finanzministerium gescheitert, das noch unter Mandela 1997 auf eine neoliberal-konservative Budgetpolitik eingeschwenkt ist und diese anschließend unter sämtlichen Ressortchefs beibehalten hat. Im Kern verfolgt der ANC damit eine wirtschaftsfreundliche Politik. Ramaphosa hat seit seinem Amtsantritt 2018 stets betont, dass sein Land internationalen Investoren offenstehe. Bei der DA läuft er damit offene Türen ein. Fraglich ist nur, ob der linke Parteiflügel und insbesondere die hauptsächlich in der schwarzen Arbeiterklasse verankerte Parteibasis ein Zusammengehen mit der noch immer maßgeblich von Weißen geführten Oppositionspartei mitmachen würde.
Im Wahlkampf zumindest griff Ramaphosa die DA zuletzt dafür an, dass diese den von ihm eingeführten Mindestlohn – mit derzeit 27,58 Rand (1,38 Euro) pro Stunde ohnehin nicht ausreichend für ein Leben oberhalb der Armutsgrenze – wieder abschaffen will. Auch bei Themen wie der Teilprivatisierung des staatlichen Stromversorgers Eskom steht Ramaphosas Regierung den Neoliberalen jedoch deutlich näher als der Opposition von links. Südafrika leidet seit Jahren unter zwangsweisen Stromabschaltungen, die notwendig werden, weil Eskom den Elektrizitätsbedarf nicht mehr decken kann. Ursache dafür ist allerdings, dass der Strommonopolist im Rahmen von Kürzungsprogrammen kaputtgespart, Wartungsarbeiten verzögert wurden und schließlich Dienstleistungen überteuert eingekauft werden mussten. Hinzu kommen Korruption und Sabotageakte, mit denen Subunternehmen sich Reparaturaufträge sichern.
Die Stromkrise, Thema Nummer eins im Wahlkampf, hat auch dafür gesorgt, dass die Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren kaum gewachsen ist. Bei einer steigenden Bevölkerungszahl führte das dazu, dass die Arbeitslosenzahlen inzwischen selbst offiziell bei 41,1 Prozent liegen. Einen Ausweg suchte die Regierung zuletzt durch eine verstärkte Einbindung in das Staatenbündnis BRICS als Alternative zur Abhängigkeit vom Westen. Eine unmittelbare Linderung der sozialen Probleme im eigenen Land ist damit aber auch nicht zu haben. Ramaphosas ANC könnte das nun aber zum Verhängnis werden.
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