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Aus: Ausgabe vom 29.05.2024, Seite 8 / Ansichten

Keine Naturkatastrophe

»Geberkonferenz« für Syrien
Von Wiebke Diehl
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Sie müssen darunter leiden, dass Washingtons Regime-Change-Pläne gescheitert sind: Vertriebene Kinder in Rakka (8.10.2023)

Es ist an Sarkasmus kaum zu überbieten: Washington bleibe der Unterstützung des syrischen Volkes verpflichtet, so das US-amerikanische Außenministerium am Montag anlässlich einer Syrien-»Geberkonferenz« in Brüssel, bei der 7,5 Milliarden Euro bereitgestellt wurden. Das Geld ist zur Unterstützung von Menschen in Syrien und den aufnehmenden Nachbarstaaten vorgesehen, so die offizielle Darstellung.

Zweifellos ist die Situation in Syrien desaströs. Über 90 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, fast drei Viertel sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die syrische Wirtschaft befindet sich in einer schweren Krise, das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung liegen am Boden. Aber Hauptursache dieser Zustände sind die seit 2011 sukzessive verschärften EU- und insbesondere US-Sanktionen. Sie treffen eben nicht in erster Linie die Herrschenden, sondern die Zivilbevölkerung. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ihr Leid ist alles andere als ein Kollateralschaden. Schon 1960 schrieb die US-Regierung in einem Memorandum zu Kuba ihr Drehbuch des Wirtschaftskriegs fest: Das Verbot von Lieferungen und Geldzahlungen solle die »Ökonomie schwächen, zu sinkenden Einkommen führen, Hunger, Elend und Verzweiflung erzeugen und so zum Sturz der Regierung beitragen«. Allein, es funktioniert nicht. Gerade die Beispiele Kuba und Syrien zeigen dies eindrücklich.

Aber der US-Imperialismus wäre nicht der US-Imperialismus, wenn er klein beigeben würde. Und schon gar nicht gibt er gerne zu, verloren zu haben. Mit militärischen und nichtmilitärischen Mitteln wird der gescheiterte Sturz der Regierung Assad weiterverfolgt: Im Nordosten Syriens stehlen etwa 900 US-amerikanische Besatzungssoldaten mit ihren Verbündeten der kurdisch dominierten »Syrischen Demokratischen Kräfte« Erdöl und Weizen. Gemeinsam bauen sie parallele Regierungsstrukturen auf – die Option einer Abspaltung und damit Zerschlagung Syriens inklusive. Wie schon 2011, als die US-Regierung ins Land geschleuste Kopfabschneiderbanden trainierte und bewaffnete, befördert man heute in Syrien und im Irak Kämpfer des so genannten Islamischen Staats (IS)–, den zu bekämpfen man vorgibt – als Gegengewicht zu aus dem Iran unterstützten Gruppen.

Washington und Brüssel wollen mit Hilfe der Sanktionen um jeden Preis den Wiederaufbau Syriens verhindern, wenn man schon nicht in der Lage war, Damaskus’ Wiederaufnahme in die Arabische Liga zu vereiteln. Und die humanitäre Hilfe? Die setzt man bis heute unter Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz als politisches Mittel ein: Wer in Gebieten unter Kontrolle der Regierung lebt, geht leer aus. Nein, das in Brüssel mit Krokodilstränen beklagte Leid der syrischen Bevölkerung ist alles andere als eine Naturkatastrophe. Vielmehr ist sie bis heute eine Geisel in der Hand westlicher geopolitischer Interessen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (29. Mai 2024 um 12:53 Uhr)
    Wiebke Diehl hat die Verursacher des Leids der syrischen Bevölkerung sehr gut beschrieben. Aber dann rutscht ihr dieser Satz raus: »Aber Hauptursache dieser Zustände sind die seit 2011 sukzessive verschärften EU- und insbesondere US-Sanktionen. Sie treffen eben nicht in erster Linie die Herrschenden, sondern die Zivilbevölkerung«. Die Sanktionen wären also berechtigt, wenn sie nur die »Herrschenden« treffen würden. Welches Verbrechen hat die syrische Regierung begangen? Etwas verunglückt und missverständlich auch die Bildunterschrift: Leiden die Kinder etwa nicht an den Regime-Change-Plänen, sondern daran, dass diese gescheitert sind? Unmissverständlich die Glückwunschadresse vom DVRK-Staatschef an den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zum 61. Jahrestag der Revolution 8. März in Syrien, Auszug: »Bei dieser Gelegenheit bekunde ich dem gerechten Kampf des Volkes Ihres Landes für die Verteidigung der Souveränität des Landes und die territoriale Integrität unter der Leitung der Arabischen Sozialistischen Baath-Partei mit Ihnen an der Spitze Unterstützung und Solidarität und äußere meine Überzeugung davon, dass die traditionellen Beziehungen der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern weiter verstärkt und entwickelt werden. Kim Jong Un, Vorsitzender für Staatsangelegenheiten der Demokratischen Volksrepublik Korea. Pyongyang, 8. März Juche 113 (2024)«. Einem Staatsmann aus dem fernen Osten bleibt es vorbehalten, die Dinge richtig einzuordnen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. Mai 2024 um 10:35 Uhr)
    Ergänzend zum Artikel: Der länger als gedacht dauernde Krieg in der Ukraine hat den Kreml schließlich zum Rückzug aus Syrien bewogen. Inzwischen hat sich Russland mit 80 Prozent seiner militärischen Kräfte auf ihre Stützpunkte in Syrien zurückgezogen. Das fünfte Armee-Korps wurde auch halbiert. Moskau kann den Wiederaufbau des Landes nicht finanzieren. Syrien ist nach wie vor dreigeteilt, auch wenn der Großteil wieder unter der Kontrolle Assads steht. Putin geht, die Ajatollahs kommen. Alternativ könnte der Iran die Lücke füllen, die durch den russischen Rückzug entsteht. Es könnte jedoch auch einen Deal mit anderen Mächten wie den USA und Israel geben, um den iranischen Einfluss in Syrien zurückzudrängen. Iran interveniert nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich in Syrien. Das Regime in Teheran könnte demnächst sogar Truppen entsenden. Die Syrien-Frage ist indes noch lange nicht gelöst.
  • Leserbrief von Reinhard Jung (29. Mai 2024 um 09:31 Uhr)
    Die Interessen des US-amerikanischen Imperialismus zu analysieren, ist eine Sache, die revolutionäre Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens als reine Marionetten der US-Interessen zu präsentieren, eine ganz andere. Die dortigen Rätestrukturen, die dem Sowjetsystem von 1917 nicht unähnlich sind, versuchen, die sich widersprechenden imperialistischen Interessen der USA, Russlands, der Türkei und anderer Akteure auszunutzen, um ihr Projekt trotz fast kompletten Embargos weiter umzusetzen und zu entwickeln (vgl. die frühe Kooperation der RSFSR bzw. UdSSR mit dem Deutschen Reich nach 1918). Eine marxistische Analyse darf das nicht verschweigen.

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