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Aus: Ausgabe vom 29.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Unterm Rad

In der Erzählerfalle: George Millers Film »Furiosa: A Mad Max Saga«
Von Peer Schmitt
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Nur um der Hoffnungslosen willen? »Es gibt keine Hoffnung« – Chris Hemsworth als Dementus spricht es aus

Mit einer Hand am Steuer des Lastwagens das Geschick der Welt lenken, war die Aufgabe der Furiosa-Figur in George Millers »Mad Max: Fury Road«. Charlize Theron spielte sie motorölverschmiert mit kurzgeschorenen Haaren und Armprothese. Fast ein Jahrzehnt ist das her. Die Kritik liebte »Fury Road« wegen seiner Klassizität. Vorbild war der William A. Wellmans Western »Westward the Women« von 1951. Ein Treck der Verfolgten durch die Wüste, Angriff auf die Wagenburg und all das. Die Handlung erstreckte sich über einen überschaubaren Zeitraum von drei Tagen. Die Ästhetik war opernhaft, barock. Kaum setzt die Musik ein, gibt es allgemeines Gemetzel. Die Wüstenstraße ist ein offenes Grab. Totenschädel und Knochen liegen herum, die Totengräber spielen damit Feuerball.

Nicht unwesentlich lag dabei das Augenmerk auf dem Handwerk. Wagenburg und Schädelstätte kamen ohne digitale Mätzchen aus. Für viele war »Fury Road« daher einer der letzten »richtigen Filme«: Formalismus und Traditionalismus. Die Erwartungen an Miller und seinen nächsten Film waren entsprechend hoch. Unerfüllbar hoch.

Zehn Jahre später ist Stoff der Sage, wie Furiosa wurde, was sie ist. Wie sie Heimat, Haupthaar und ihren Unterarm verlor. Der Handlungszeitraum umfasst gut 15 Jahre und ist in Kapitel mit schwergewichtigen Überschriften wie »Lessons from the wasteland« zergliedert, die einschneidende Stationen auf der Reiseroute der Heldin markieren.

Es ist eine Geschichte der Deprivation. An ihrem Beginn steht die Entführung aus dem Paradies, in dem die kindliche Furiosa eine Frucht vom Baum des Lebens in der Hand hält. Den Fruchtkern behält sie als Saatgut und Schatz – eine Anspielung sowohl auf die Fruchtbarkeitsmythologie von »Fury Road« wie auch die elementare Aufgabe der Heldin, das wüste Land wieder fruchtbar zu machen wie in der Gralslegende (Vegetationskult einer Welt, wo die Motoren der Gral sind).

Mit dem Paradies verliert Furiosa die Mutter, die vor ihren Augen zu Tode gefoltert wird. Eine Erfahrung, die sie mit einer Art Schweigegelübde beantwortet. Sie verliert die Sprache. Die beiden Darstellerinnen von Furiosa – Alyla Browne (als Kind) und Anya Taylor-Joy (als erwachsene Frau) haben zusammen keine zwei Dutzend Zeilen Dialog. Ihr Entführer und Mörder ihrer Mutter hingegen – Dementus (Chris Hemsworth) – ist mit einer geradezu barocken Eloquenz gesegnet und beschäftigt zudem eine personifizierte Eloquenz, einen History Man (George Shevtsov), der auflabert, sobald profunde Information gefragt ist. »Sag mal History Man, was war noch mal eine ›Atomwaffendoktrin‹?« – Der History Man referiert schlagartig wie Lucky aus »Warten auf Godot«: »to ­waste and pine pine and waste«. Vergeuden und trauern.

Ihre Haare schneidet sich Furiosa das erste Mal ab, als sie aus einem Harem entflieht, um lieber ein anonymer Automechaniker zu werden, den Arm verliert sie schließlich, um nicht als Kriegsgefangene von Dementus auf ein Rad geflochten oder gevierteilt zu werden.

Erzählte Zeit und Weitschweifigkeit sind das Problem dieser (jeder?) »origin story«. War nicht schon einmal die halbe Kunst der Erzählung, eine Geschichte von Erklärungen freizuhalten? Mit dem nach Erklärung heischenden »worldbuilding« schleicht sich auch jede Menge CGI ins früher einmal so neoklassische Miller’sche wüste Land. Ein detailbesessener Filmemacher mit Tempogefühl bleibt Miller dennoch. Weiterhin gibt es die klassischen Westerneinstellungen in der Halbtotalen mit aberwitzigem Zeug am Rand, die er absichtlich eine Spur zu lange stehenlässt. So wie ein Totenschädel im Wüstenschutt einsam darauf wartet, von einem mächtigen Autoreifen zersplittert zu werden.

(Aber das Ergebnis der Vierteilung eines Delinquenten durch Wüsten-Moto­crossmaschinen versteckt er hinter einer barmherzigen Staubwolke …)

»Furiosa: A Mad Max Saga«, Regie: George Miller, Australien/USA 2024, 148 Min., bereits angelaufen

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