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Aus: Ausgabe vom 29.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Whistleblower

Relativ ungeschützt

Den Whistleblower-Preis gibt es nicht mehr. Ein Buch erteilt Auskunft über Preisträger und Ermittlungen
Von Jörg Werner
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Man darf behaupten, dass das »Hinweisgeberschutzgesetz« eher den Hinweisnehmern dient (Chelsea Manning in Rio de Janeiro, 2023)

Erinnerungen an Skandale um den »Kugelhaufenreaktor«, »Rinderwahnsinn« (BSE), Mängel in der Altenpflege, die nukleare Verseuchung des Nordmeeres oder Krebsmedikamente ohne Wirkstoffe sind vielleicht noch präsent. Zumal nicht wenige der ­»verpfiffenen« Missstände bis heute virulent sind. Glyphosat etwa ist bis zum Jahr 2033 zulässig. Die Namen der Whistleblower, die Skandale wie den um Glyphosat aufgedeckt hatten, sind freilich eher unbekannt. So hat zum Beispiel die Agrarbiologin Angelika Hilbeck für ihre entscheidenden Hinweise auf die Schädlichkeit dieses Produktes nie eine angemessene öffentliche Würdigung erfahren.

Die »primär uneigennützigen Motive« der Hinweisgeber waren allerdings für die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die International Association of Lawyers against Nucelar Arms e. V. ­(IALANA) entscheidend dafür, wem sie alle zwei Jahre ihren Whistleblower-Preis überreichten. Seit 1999 waren es neben Chelsea Manning und Edward Snowden 16 weitere couragierte Hinweisgeberinnen und -geber, die insgesamt zehn dramatische Schieflagen und Missstände in Wirtschaft und Politik ans Licht gebracht hatten.

Wieso ausgerechnet Julian Assange nicht unter den Ausgezeichneten zu finden ist, verstehen die Juroren rückblickend selbst nicht so recht: »Hätten wir das damals gewusst …«, bedauerten sie ihre Ignoranz im Rahmen eines Festaktes im Goldenen Saal der Bremer Villa Ichon Mitte 2023. Da hatten die Juroren unter ihr Engagement bereits selbst einen Schlussstrich gezogen. Einen weiteren Preis würde es nicht geben.

Dabei hält das 2022 verabschiedete Hinweisgeberschutzgesetz keineswegs, was sein Name verspricht – und was bereits vor mehr als zwanzig Jahren dem Juristen Dieter Deisenroth als dringend regelungsbedürftig erschien und 1999 zur Verleihung des ersten Whistleblower-Preises führte. Die Unzulänglichkeiten der gesetzlichen Regelung von 2022 machen das Engagement der Preisverleiher also gerade nicht entbehrlich. Bleibt die eindrückliche Dokumentation ihrer Arbeit in Buchform: »20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Enthüllungen?«

Dass die Vorstellung des Buches im Jahr 2023 dem widerständigen Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler überlassen war, passte ausgezeichnet: Es waren prominente Naziarbeitsrechtler (Alfred Hueck und Hans ­Nipperdey), die das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) von 1934 aktiv vorangetrieben hatten. Die darin verwobene »alte deutschrechtliche Auffassung« eines »Treuegedankens« durfte Nipperdey bis 1963 als Präsident des Bundesarbeitsgerichts weiter propagieren. Das ist auch der Grund, weshalb bis heute sämtlichen Hinweisgebern der Vorwurf eines »Treuebruchs« in den Ohren klingt.

Das eher hohle Rechtsbewusstsein erwähnter Autoren hatte bereits der frühere Verfassungsrichter Jürgen Kühling entlarvt: Ein »tief verwurzeltes Ethos der Gefolgschaftstreue überlagert die Grundsätze einer aufgeklärten Ethik«, weshalb folglich »Das Recht (…) – auch bei uns – die dunklen Geheimnisse der Mächtigen« schütze. Zu beobachten ist das insbesondere dann, wenn »Wertegesellschaft« oder Staat mit Hinweisen konfrontiert werden, dass Verletzungen der Werte, die sie hochhalten, nachweislich ihnen selbst anzukreiden sind.

Man darf behaupten, dass das Hinweisgeberschutzgesetz eher den Hinweisnehmern dient. Sein Anwendungsbereich ist beschränkt auf Sachverhalte, die straf- oder bußgeldbedroht sind. Ungeschützt sind Hinweisgeber in Fragen der nationalen Sicherheit, Nachrichtendienste betreffend und bei Verschlusssachen. Größere Unternehmen soll ein Bußgeld von schlappen 100.000 Euro von Repressalien gegen Whistleblower abschrecken.

Die bestenfalls unentschiedene Haltung zu einem wirklichen Schutzgesetz für Whistleblower auszubauen, »bleibt nun parlamentarischen Mehrheiten vorbehalten, die erst noch mobilisiert werden müssen« – lautet das Schlusswort des Mitherausgebers Gerhard Baisch.

Gerhard Baisch/Hartmut Graßl u.a. (Hg.): 20 Jahre Whistleblower-Preis. Was wurde aus den Preisträger:innen und ihren Ermittlungen? Berliner Wissenschaftsverlag 2023, Berlin 2023, 396 Seiten, 49 Euro

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