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Aus: Ausgabe vom 31.05.2024, Seite 5 / Inland
Mietminderung

220 Euro zuviel

Enteignungsinitiative DWE stellt Onlinerechner zur Überprüfung zu hoher Kaltmieten vor
Von Susanne Knütter
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Bauen allein wird die Probleme der Mieter nicht lösen, solange Eigenbedarfskündigungen, Zwangsräumungen und Mieterhöhungen erlaubt sind

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Mieten steigen nicht, sie werden erhöht. Auch der Mietspiegel ist dafür ein Instrument. Die ortsüblichen Mieten, die der Mietspiegel vergleicht und abbildet, dienen Vermietern als Orientierung für ihre Preiserhöhungen. 15 Prozent mehr innerhalb von drei Jahren sind in Berlin erlaubt – sofern die Miete dabei unter dem Mietspiegelwert bleibt. Zehn Prozent mehr sind drin bei Neuvermietungen. Angesichts solcher Regelungen ist es zweitrangig, dass die Berliner Mieten laut neuem am Donnerstag veröffentlichten Mietspiegel gegenüber dem Vorjahr »nur« um fünf Prozent im Durchschnitt gestiegen sind, was einige Medien veranlasste, von einem »moderaten« Anstieg zu sprechen. Demnach zahlen die Mieter in der Hauptstadt im Schnitt monatlich netto kalt 7,21 Euro pro Quadratmeter.

Völlig abgekoppelt davon sind die Mieten, die auf dem Markt derzeit bei Neuvermietungen verlangt werden. Die sogenannten Angebotsmieten stiegen zwischen 2022 und 2023 im Schnitt um 21 Prozent auf 15 Euro pro Quadratmeter kalt, wie Manuel Katzer von »Deutsche Wohnen und Co. Enteignen« (DWE) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz betonte. Die Initiative nahm die Veröffentlichung des Mietspiegels zum Anlass, um ein neues Instrument gegen den grassierenden Mietenwahnsinn in Berlin vorzustellen. Mit Hilfe des Rechners Mietencheck.de können Berliner Mieterinnen und Mieter »kostenlos, niedrigschwellig und in verschiedenen Sprachen prüfen, ob ihre Miete gegen die Mietpreisbremse verstößt«.

Damit richtet sich Mietencheck nicht gegen die legal viel zu hohen Mieten, sondern gegen die illegal überteuerten Kaltmieten. Den Initiatoren ist das bewusst. »Wir müssen aus der Passivität herauskommen. Und die Situation unterbrechen, wo wir dasitzen und denken, verdammt, wie zahle ich die Miete. Der Rechner ist dabei ein Instrument von vielen«, sagte Justus Henze von DWE am Donnerstag gegenüber jW. Die Forderung nach Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne bleibt. Doch »als Initiative der Mieter und Mieterinnen fühlen wir uns in der Pflicht, uns dort gegenseitig zu helfen, wo die Regierung versagt und selbst die schlechten Instrumente des Mietrechts, die uns noch bleiben, anwendbar zu machen«.

Damit bleibt im Grunde nur die Mietpreisbremse. Denn der Berliner Mietendeckel und das Vorkaufsrecht wurden gerichtlich gekippt, die Enteignung von Deutsche Wohnen, Vonovia, Heimstaden und Co. will der Berliner Senat nicht umsetzen. Die Mietpreisbremse allerdings gilt nicht für Neubauwohnungen nach weitreichenden Modernisierungen, nicht für möblierte Wohnungen und nicht im Fall von Mietverträgen, die vor dem 31. Mai 2015 geschlossen wurde, wie Katzer erläuterte. Dennoch könnten zahlreiche Vermieter illegal überhöhter Kaltmieten durch den Mietencheck überführt werden. Jonas Brinkhoff, der das Tool unter anderem entwickelt hat, gibt am Donnerstag ein Beispiel: Wohnung in der Britzer Straße 62 C, Baujahr 1992, Mietvertrag unterschrieben zwischen 2020 und 2022, Wohnungsgröße 95 Quadratmeter, Kaltmiete 980 Euro im Monat. Nach ein paar Klicks die erste Prognose: Der Haushalt zahlt bis zu 220 Euro zu viel im Monat, allein an Grundmiete.

Auch der Berliner Senat bietet ein ähnliches Tool an. Das allerdings sei nur auf deutsch, beziehe lediglich den aktuellen Mietspiegel ein und übernehme alle komplizierten Formulierungen des Mietspiegels. Der von DWE und dem Mieterverein entwickelte Mietencheck bezieht auch alle Mietspiegel bis 2015, als die Mietpreisbremse in Kraft trat, mit ein. Darüber hinaus hat es den Anspruch, den Mietern der Stadt direkt zu helfen, sich gegen die Abzocke durch ihre Vermieter zu wehren. Dafür geben sie Hinweise, wie sich die Nachbarn am besten gemeinsam wehren können. Denn wenn ein Mieter zu viel zahlt, gilt das sehr oft auch für seine oder ihre Nachbarn.

Wird der Protest damit nicht individualisiert und von der Straße in die Gerichte verschoben? Das sieht die Initiative auf keinen Fall so. Die Erfahrung, dass man sich erfolgreich wehren kann, auch wenn es am Ende gerichtlich ist, führe auf keinen Fall zu einer Passivierung, eher zu mehr Engagement.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Maximilian T. aus Berlin (31. Mai 2024 um 08:48 Uhr)
    »Bauen allein wird die Probleme der Mieter nicht lösen, solange Eigenbedarfskündigungen, Zwangsräumungen und Mieterhöhungen erlaubt sind«, ein klassisches Beispiel, bei dem Ursache und Wirkung verwechselt werden. Diese Verwechslung ist ein Ausdruck der Theorielosigkeit linker Debatten, die sich wiederum in einer desorientierten und individualisierten Praxis ausdrückt. Drei Bereiche bestimmen im Wesentlichen das Mietpreisniveau: die Baukosten, der Zins und der Bodenpreis. Wobei in Berlin der Bodenpreis die Triebkraft der Mietpreisentwicklung sein dürfte. Wer eine glaubhafte politische Antwort auf die Wohnungsnot finden will, muss sich mit den Ursachen beschäftigen. Ansonsten macht man es sich zur Lebensaufgabe, Symptome zu bekämpfen.

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