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Aus: Ausgabe vom 31.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Fiskalpolitik

Unruhe in der Steuerhölle

Belgien vor Parlamentswahl: Partei der Arbeit fordert Millionärssteuer. Moderate Kapitalflucht eingepreist
Von Gerrit Hoekman
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»Dieses Land ist ein Steuerparadies für Reiche«: PvdA/PTB-Chef Raoul Hedebouw am 1. Mai in Brüssel

Am 9. Juni wird in Belgien ein neues Parlament gewählt. Und die Partei der Arbeit (PvdA/PTB) zieht wieder mit ihrer schärfsten Waffe, der Millionärssteuer, in den Wahlkampf. Das ruft natürlich Gegner auf den Plan. Wenn die Reichen höher besteuert werden, verlassen sie in Scharen Belgien, malen sie den Steuerteufel an die Wand. »Die Millionärssteuer ist eine gefährliche Illusion«, schimpft der flämische Kapitalverband Voka.

Alles Quatsch. »Dieses Land ist eine Steuerhölle für Arbeitende und ein Steuerparadies für Reiche«, stellte Raoul Hedebouw, Vorsitzender der PvdA/PTB, kürzlich in einem Interview mit der Zeitung De Zondag fest. »Das sorgt dafür, dass die großen Vermögen immer größer werden und dass die Ungleichheit zunimmt. Der Schlüssel, um dem entgegenzuwirken, ist eine gerechte Besteuerung.« Deshalb fordert die marxistische Partei: Wer mehr als fünf Millionen Euro besitzt, muss Vermögensteuer zahlen. Das betrifft rund ein Prozent der belgischen Bevölkerung.

»Bei unseren Berechnungen der Nettoeinnahmen im Falle der Einführung einer Millionärssteuer berücksichtigen wir mögliche Reaktionen der Steuerzahler. Wir sehen einen angemessenen Puffer für das Risiko der Kapitalflucht sowie der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vor«, erklärte die PvdA/PTB am Mittwoch auf ihrer Homepage. »Wir schätzen die Bruttoeinnahmen unserer Millionärssteuer auf 10,78 Milliarden Euro und berücksichtigen einen potentiellen Verlust von 26 Prozent.« Macht unterm Strich immer noch ein Steuerplus von acht Milliarden Euro.

Vor zwei Wochen hatte der Abgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Peter Mertens in einem Youtube-Video auf Frankreich verwiesen, wo es von 1989 bis zur Abschaffung durch Präsident Emmanuel Macron 2018 die »Impôt de Solidarité sur la Fortune«, die Solidaritätssteuer auf Vermögen, gab. Trotz dieser Steuer seien 99,5 Prozent der Besteuerten im Land geblieben, so Mertens. Er beruft sich auf eine Studie der Fakultät für angewandte Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Brüssel vom Juli 2023. Laut Thomas Piketty, Wirtschaftsprofessor an der Pariser Elitehochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales, haben sich die Einnahmen aus der Reichensteuer in Frankreich innerhalb von 20 Jahren verfünffacht. Die Kapitalflucht sei also vernachlässigbar.

Die belgischen Marxisten bezweifeln, dass viele Reiche nach der Einführung einer Millionärssteuer ins Ausland fliehen würden. »Die politischen Verbindungen, die Verbindungen zur belgischen Wirtschaft und Infrastruktur, die Investitionen in Immobilien und Grundstücke: Das alles sind unserer Meinung nach wichtige Gründe, das Land nicht zu verlassen.« Ein weiteres positives Beispiel ist Schweden, das von 1911 bis 2007 eine progressive Vermögenssteuer hatte. Das US-amerikanische National Bureau of Economic Research hat in einer Studie vom Februar 2024 festgestellt, dass in den 20 Jahren vor der Abschaffung der Steuer in Schweden weniger als 0,01 Prozent der Steuerzahler das Land verlassen haben.

»Die Aussage (…), dass eine Millionärssteuer nicht dazu führen wird, dass Vermögende ins Ausland fliehen, halten wir auf der Grundlage von Untersuchungen für eher zutreffend, da eine Reihe von Studien in der Tat darauf hinweisen, dass der Prozentsatz der Abwanderung von Vermögenden begrenzt bleibt«, schlussfolgerte die Zeitung Knack am Dienstag in ihrem Faktencheck. Wichtiger sei jedoch die Frage, wie viel Geld diese Menschen mitnehmen, wenn sie Belgien verlassen, wandte Mark Delanote, Dozent für Steuerrecht an der Universität Gent, am Mittwoch auf der Internetseite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks VRT NWS ein. »Wir wissen, dass der größte angehäufte Reichtum bei den 0,001 Prozent der Allerreichsten liegt. Und genau diese Gruppe verlässt das Land, nicht nur, weil sie das größte Interesse daran hat, sondern auch, weil sie sich am leichtesten bewegen kann.« Für sie spiele es keine Rolle, wo sie leben. »Wenn man also die sehr Reichen besteuern will, muss man das international tun«, so Delanote. Der PVDA-PTB kann das egal sein. Die vier reichsten Belgier leben übrigens auch ohne Millionärssteuer längst im Ausland.

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