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Aus: Ausgabe vom 31.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Die ironische Interpretin

Weltstar aus der DDR: Zum 100. Geburtstag der Sängerin und Schauspielerin Gisela May
Von F.-B. Habel
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Gisela May auf dem zweiten Parteitag der DKP im November 1971 in Düsseldorf

Es war ein sozialdemokratisches Elternhaus, in das Gisela May am 31. Mai 1924 in der »Lotte«-Stadt Wetzlar hineingeboren wurde. Sie erwies sich schnell als musikalisch und verliebte sich in ihren Klavierlehrer, der 1943 als Widerstandskämpfer von den Nazis hingerichtet wurde. Auch ihr geliebter Bruder Ulrich wurde ihr durch den Krieg genommen, Ereignisse, die die May fürs Leben prägten.

Dass sie ein starkes, aber lange nicht genutztes Talent zum Schreiben hatte, mag dem väterlichen Einfluss geschuldet sein. Ferdinand May war Sozialarbeiter in Hessen, bevor er in Leipzig u. a. für Agitpropgruppen und Kabaretts arbeitete. In der Nazizeit musste die Familie Hausdurchsuchungen und Vernehmungen über sich ergehen lassen. In den fünfziger und sechziger Jahren schrieb er mehrere Romane. Doch für Tochter Gisela stand das professionelle Schreiben (das sie später als Autorin der Weltbühne und von zwei Büchern ausübte) an letzter Stelle. Sie wollte Schauspielerin werden und nahm noch während des Krieges Unterricht. Nach Engagements in verschiedenen Großstädten des Ostens kam sie 1951 ans Deutsche Theater (DT) Berlin, ehe sie 1961 für drei Jahrzehnte Mitglied des Berliner Ensembles wurde und ihren Weltruf als Brecht-Interpretin (u. a. »Die Tage der Commune«, »Schwejk im Zweiten Weltkrieg«, »Mutter Courage und ihre Kinder«) begründete.

Als Chansoninterpretin und Brecht-Sängerin hatte sie kein geringerer als Hanns Eisler für eine Matinee des DT entdeckt und auf diesem Weg gefördert. Bald trat sie damit in vielen Ländern auf und wurde einer der wenigen Weltstars aus der DDR. Sie war im sowjetischen, im US-amerikanischen und italienischen Fernsehen zu Gast, erhielt in Frankreich den Grand Prix du Disque, kam in Filmen aus Ungarn und Frankreich auf deutsche Bildschirme zurück. Hier war sie seit den fünfziger Jahren als Charakterdarstellerin zu sehen, in Stücken von Helmut Sakowski und Bruno Apitz, von Tennessee Williams und Heinrich Mann.

Zu ihrer Vielseitigkeit gehörte, dass sie ihre Darstellungen oft mit Ironie würzte, schon in den fünfziger Jahren in Satiren der »Stacheltier«-Reihe im Kino auftrat, später urkomisch in drei verschiedenen Rollen bei den »Drei reizenden Schwestern« mitmischte, heitere Chansons von Tucholsky und Hollaender darbot und auf der Bühne des Metropoltheaters für mehrere Spielzeiten im Musical »Hallo, Dolly!« spielte.

Dass die Genossin in der Bundesrepublik von Studenten im Hamburg der sechziger Jahre vor antikommunistischen Anfeindungen beschützt werden musste, ist heute ebenso vergessen wie ihre umjubelten Auftritte bei den Olympischen Spielen in München oder vor der UNO in New York. Doch die 2016 verstorbene Künstlerin sollte nicht nur als tüdelige Mutter von Evelyn Hamann in der langlebigen Krimipersiflage »Adelheid und ihre Mörder« (1993–2007) in Erinnerung bleiben. Vor allem ihr Einsatz gegen Dummheit und Reaktion wäre mit Brecht heute noch gefragt: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!«

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