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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 2 / Ausland
Politische Gefangene in der Türkei

»Ich könnte kein Leben im Exil führen«

Türkei: Lange Haftstrafen für HDP-Politiker im Kobani-Prozess. Ein Gespräch mit Ahmet Türk
Interview: Süheyla Kaplan
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Polizei attackiert Demonstration der HDP-Nachfolgepartei DEM in Diyarbakır gegen die Urteile im Kobani-Prozess (22.5.2024)

Im sogenannten Kobani-Prozess wurden Mitte Mai in Ankara frühere Politiker der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker, HDP, darunter Sie, zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt, weil sie 2014 zu Protesten gegen den Angriff der Dschihadistenorganisation IS auf die syrisch-kurdische Stadt Kobani aufgerufen hatten. Wie bewerten Sie diese Urteile?

Der Kobani-Prozess war ein Verschwörungsprozess ohne juristische Grundlage. Unsere Freunde wurden als Geiseln genommen und rechtswidrig zu unzähligen Jahren Gefängnis verurteilt. Wir betrachten diese Urteile als null und nichtig. Denn es handelt sich um eine politische Entscheidung, um den Willen unseres Volkes zu brechen, das seit Jahren demokratisch für seine Rechte kämpft. Doch dieses Volk und seine politische Vorhut sind nie von ihrem gerechten Kampf abgewichen, sie sind nie niedergekniet, sie haben sich nie gebeugt, sondern ihre aufrechte Haltung bis zum heutigen Tag nicht aufgegeben.

Sind diese Urteile ein Zeichen der Stärke der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan?

Eine starke Regierung würde niemals zu so feigen Mitteln und Methoden greifen. Die Regierung will sich in einer starken Position präsentieren, indem sie in die Justiz eingreift. Der Kobani-Prozess hat jedoch gezeigt, dass sie sich in einer sehr schwachen Position befindet und versucht, ihr Leben mit antidemokratischen und ungesetzlichen Praktiken zu verlängern.

Sie selbst wurden im Kobani-Prozess zu zehn Jahren Haft wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Worauf stützt sich dieser Vorwurf?

Die Begründung dieses Vorwurfs ist unwichtig. Denn alle Welt weiß, dass die Justiz in der Türkei nicht unabhängig ist. So wurden viele Menschenrechtsverteidiger, Akademiker, Geschäftsleute, Politiker usw. zu Terroristen erklärt und einige von ihnen – wie Osman Kavala – zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Anders als die bereits seit rund acht Jahren in Untersuchungshaft sitzenden früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die nun zu 42 bzw. 30 Jahren Haft verurteilt wurden, befinden Sie sich noch in Freiheit. Denken Sie manchmal daran, besser ins Exil zu gehen, anstatt auf eine letztinstanzliche Verurteilung zu warten?

Es stimmt, dass ich die körperliche Freiheit besitze, aber das bedeutet nicht, dass ich völlig frei bin. Leider hat sich das ganze Land durch die Einmischung der Regierung in die Justiz sowie durch willkürliche Entscheidungen und Praktiken in ein offenes Gefängnis verwandelt. Daher ist es nicht möglich, sich in einer solchen Umgebung und Atmosphäre frei zu fühlen. Doch Menschen wie wir, die einen Kampf gegen diese falsche Ordnung führen, haben nicht den Luxus, das Land zu verlassen. Wir kämpfen soweit wie möglich auf demokratischer Grundlage. Außerdem könnte ich persönlich kein Leben im Exil führen. Ich habe bis zu meinem jetzigen Alter Widerstand geleistet, und ich werde weiterhin diese Haltung einnehmen.

Bei den Kommunalwahlen am 31. März wurden Sie erneut zum Oberbürgermeister von Mardin gewählt. In welchem Zustand haben Sie diese Stadt übernommen, die zuvor wie viele andere von der HDP regierte Gemeinden unter staatlicher Zwangsverwaltung stand?

Wir gehen nicht mit dem Verständnis heran, einen Ort zu übernehmen. Denn die Verwaltung der Gemeinden wird durch den Willen des Volkes bestimmt, und die kommunalen Dienstleistungen werden von der gewählten Verwaltung erbracht. Mit der Ernennung von Treuhändern durch die Regierung seit 2016 wurde jedoch der Wille unseres Volkes usurpiert. Weder wir noch unser Volk haben diese antidemokratische Usurpation akzeptiert, daher sind wir bei diesen Wahlen erneut angetreten.

Aber infolge der Zerstörung, die der Treuhänder angerichtet hat – das Ausmaß der Plünderung, die hinterlassenen Schulden –, ist die Stadtverwaltung ein komplettes Wrack! Obwohl nirgendwo in Mardin sichtbare, greifbare Arbeiten geleistet wurden, belaufen sich die Schulden der Gemeinde nun auf über fünf Milliarden türkische Lira (über 143 Millionen Euro, jW). Mit diesen Schulden sind alle unsere Arbeiten, Projekte und Dienstleistungen, die wir unseren Bürgern anbieten wollen, nahezu verunmöglicht worden.

Ahmet Türk ist kurdischer Politiker und wurde im März erneut zum Oberbürgermeister der Stadt Mardin gewählt, nachdem er zuvor zweimal von der türkischen Regierung seines Amtes enthoben worden war

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