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Aus: Ausgabe vom 31.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Nahostkonflikt

»Die Anerkennung ist ein Druckmittel«

Eine Initiative zur Friedensstiftung im Nahen Osten wurde beim Rat der Präsidenten der UNO vorgelegt. Ein Gespräch mit Srgjan Kerim
Von Frank Schumann
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Zivilbevölkerung am Ende (Rafah, 28.5.2024)

Sie haben ein diplomatisches Non-Paper verfasst, in dem es um eine Friedenslösung in Nahost geht. Das Papier heißt »Security for Statehood«, was so viel wie »Sicherheit für Eigenständigkeit« bedeutet. Im Kern geht es um die Zweistaatenlösung: Palästina akzeptiert Israel und garantiert für dessen Sicherheit. Umgekehrt akzeptiert Israel Palästina und garantiert für dessen Sicherheit.

So könnte man es sagen, ja.

Wieso ein Non-Paper? Weil der Vorschlag in Deutschland und im Rest der Welt nicht wahrgenommen wurde?

Ich war einmal Minister im blockfreien Jugoslawien, Botschafter in verschiedenen europäischen Staaten und bei der UNO, dort leitete ich ein Jahr die Generalversammlung als Präsident. Da weiß ich, wie man diplomatische Initiativen startet. Der Council of Presidents of the United Nations General Assembly (UNCPGA), also der Rat der Präsidenten der UN-Generalversammlung, hat sich Anfang Mai in Doha, Katar, getroffen und mein Papier behandelt und aufgegriffen.

Der Präsidentenrat forderte in Doha unter anderem einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen. Aber diese Erklärung fand kaum Erwähnung in den internationalen Medien.

Das ist bedauerlich und unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit einer umfassenden diplomatischen Initiative, um aus dieser Sackgasse herauszufinden, in die sich Palästinenser und Israelis hineinmanövriert haben. Es liegen Kriegsverbrechen auf beiden Seiten vor. Partielle Lösungsvorschläge, von welcher Seite sie auch kamen, haben sich als unbrauchbar erwiesen.

Sind aufgrund der Anerkennung Palästinas durch Spanien, Irland und Norwegen die Chancen für Ihren Vorschlag gestiegen?

Die Welt ist derart tief gespalten, dass kaum Aussichten auf eine Friedenskonferenz bestehen, sofern es keine Annäherung der Positionen zwischen den USA einerseits und China und Russland andererseits gibt. Über die EU brauchen wir gar nicht erst zu reden. Sie ist auch in diesem Fall nicht einig.

Wie steht es mit dem globalen Süden und der arabischen Welt?

Sie sind in den Großkonflikt eingebunden.

Was hat die Anerkennung durch die drei europäischen Länder geändert? Immerhin haben von den über 190 Mitgliedstaaten der UNO bereits 142 diesen Schritt vollzogen und Palästina als Staat anerkannt, also drei Viertel.

Die Anerkennung Palästinas ist ein Druckmittel gegen die hartnäckige und arrogante Politik des israelischen Premiers und jener, die seine Politik unterstützen. Aber das reicht nicht, solange auf beiden Seiten Extremisten das Sagen haben.

Ein Staat ist ein Staat, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind: ein Staatsterritorium, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt. Das gibt es im Falle der Palästinenser bereits. Allerdings wird die Staatsgewalt des Gazastreifens insofern von Israel und anderen Staaten in Frage gestellt, als dort ein Terrorregime herrsche. Und das palästinensische Territorium im Westjordanland wird von isra­elischen Siedlern wie das eigene betrachtet, also besetzt gehalten bzw. immer mehr in Besitz genommen.

Das war und ist ja meine Ausgangsposition: Nur die Umsetzung des Prinzips »Sicherheit für Staatlichkeit« kann die absurde Entwicklung beenden.

Als nichtdeutscher Diplomat sind Sie neutral. Sie wissen aber, dass aufgrund der deutschen Geschichte das Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel einer sogenannten Staatsräson unterliegt: Israels Regierungshandeln ist sakrosankt, Kritik an der Regierungspolitik unterliegt dem Verdacht des Antisemitismus. Wie sehen Sie das?

Mein Vater war bei den Partisanen Mazedoniens und hat – als Teil der internationalen Antihitlerkoalition – für die Befreiung von den deutschen Besatzern gekämpft. Unsere Familie war an der Rettung von Menschen mit jüdischer Herkunft beteiligt, die von Deutschen verfolgt wurden. Ich bin dennoch nicht zum Hass auf Deutsche erzogen worden. Eine kritische Sicht auf deutsche Politik ist legitim und für mich so wenig deutschenfeindlich, wie die Kritik an der Politik Israels antisemitisch ist. Die Unterstellung von Antisemitismus dient nach meinem Eindruck oft der Rechtfertigung von Straftaten.

Weltweit bekunden angesichts des Krieges im Gazastreifen Menschen ihre Solidarität mit den Palästinensern und setzen sich damit dem Vorwurf aus, die Hamas zu unterstützen. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?

Es gibt keine Entschuldigung für die Greueltaten der Hamas. Das wissen selbst die Ziehväter der Truppe in Iran. Ich bedauere, dass sich immer mehr Palästinenser hinter der Hamas versammeln, weil sie sie als ihren einzigen Schutzschild empfinden. Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass es sich um eine terroristische Organisation handelt. Das aber war auch einmal die PLO. Oder die IRA. Diese Gruppierungen haben eine politische Evolution durchlaufen. Vielleicht passiert das auch irgendwann mit der Hamas? Im Moment sind wir davon allerdings noch weit entfernt.

Würden Sie Ihrem Non-Paper angesichts der aktuellen Entwicklung etwas hinzufügen wollen?

Erstens: Die UNO muss mehr politische Schwergewichte als Unterhändler gewinnen und in den Dialog einbinden. Zweitens: Es sollten nach den Wahlen in Europa und den USA konzeptionelle Sondierungsgespräche erfolgen, damit die UNO einen wirksamen Beitrag für den Frieden im Nahen Osten leisten kann. Allerdings füge ich hinzu: Selbst symbolische Schritte werden wirkungslos bleiben, wenn sich die politische Großwetterlage nicht verbessert.

Srgjan Kerim (geb. 1948, Skopje) studierte an der Universität in Belgrad, wo er promoviert wurde. Von 1989 bis 1991 war er Vizeaußenminister der SFR Jugoslawien, später Botschafter, dann Außenminister Mazedoniens. 2007–2008 leitete er als Präsident die 62. UNO-Generalversammlung. Er gehört dem ­Council of Presidents of the United Nations General Assembly (­UNCPGA) an.

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