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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 4 / Inland
Waffenlieferungen an Ukraine

Die nächste »Anpassung«

Sonderregelung passé: Berlin erteilt Freigabe gelieferter Waffen für Angriffe auf russische Ziele
Von Marc Bebenroth
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Je nach Munition kann die »Panzerhaubitze 2000« bis zu 40 Kilometer entfernte Ziele beschießen (Bachmut, 27.5.2023)

Der weitere Verlauf des Ukraine-Krieges ist offen, aber klar ist zumindest, dass sich die Rüstungsindustrie über weitere Aufträge freuen darf: Am Freitag hat die Bundesregierung erklärt, dass sie der Ukraine erlaubt, von der BRD gelieferte Waffensysteme gegen Ziele auf russischem Territorium im Grenzgebiet einzusetzen. Damit hat Berlin praktisch über Nacht eine noch unmittelbar zuvor herausgestellte Geheimvereinbarung mit Kiew aufgegeben, die offenbar das Gegenteil beinhaltete.

Begründet wird dies damit, dass man die Unterstützung für die Ukraine »kontinuierlich der Entwicklung des Kriegsgeschehens« anpasse, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit in einer Mitteilung vom Freitag morgen erklärte. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach in der moldauischen Hauptstadt Chișinău von einer »strategischen Anpassung an sich verändernde Lagebilder«. Auf dem Katholikentag in Erfurt betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wiederum, dass »wir« den »Krieg zwischen Russland und der NATO« vermeiden müssten. Vizesprecher Wolfgang Büchner erklärte vor Journalisten in Berlin, dass die BRD mit ihrem Freibrief für Kiew »nicht Kriegspartei« werde.

Anlass für den Schwenk sind laut offizieller Sprachreglung Angriffe aus russischen Stellungen jenseits Grenze auf Charkiw, die laut Hebestreit »in den letzten Wochen« erfolgten. Zuletzt hatte etwa der Einschlag einer »Iskander«-Rakete in einen Baumarkt in der nordostukrainischen Stadt am 25. Mai nach ukrainischen Angaben 19 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt. Hebestreit betonte am Freitag, »dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren«.

Die »strategische Anpassung« begrüßten am Freitag vor allem der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), und seine Amtskollegin aus dem Verteidigungsausschuss, Marie-Luise Strack-Zimmermann (FDP). Die Abgeordnete Żaklin Nastić vom Bündnis Sahra Wagenknecht sah dagegen am Freitag auf X (ehemals Twitter) »eine der letzten roten Linien überschritten« und kritisierte die Freigabe aus Berlin als »völlig geschichtsvergessen«. Die Regierung sei »auf einen Weg abgebogen, der eine enorme Eskalationsgefahr bedeutet«, warnte die Linke-Vorsitzende Janine Wissler auf X.

Zu den seit dem russischen Einmarsch Ende Februar 2022 von der BRD gelieferten Waffen zählen nicht nur Flugabwehrsysteme wie »Iris-T« oder »Patriot«, sondern auch die »Panzerhaubitze 2000« und Raketenwerfer vom Typ »Mars II«. Dürfen diese nun auch – sofern noch einsatzfähig – über die Grenze hinweg Ziele in Russland angreifen, werden die Bitten um größere und schnellere Munitionslieferungen nicht lange auf sich warten lassen. Rheinmetall und Co. werden sie gern erfüllen.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (4. Juni 2024 um 12:42 Uhr)
    Spätestens seit September 2022, als sich Russland mit dem Verlust der gegen Charkiiw vorgeschobenen Positionen nach dem ukrainischen Durchbruch bei Balaklija abfand, war es zwischen der belorussischen Grenze und der Grenze nördlich von Charkiw zu einer Art Sitzkrieg gekommen: Russland wehrte lediglich ukrainische Artillerie- und Raketenangriffe und einfallende Söldnertruppen ab. Durch erstere kamen Hunderte von Zivilisten zu Schaden, darunter allein seit 1. Januar 2024 nach Angaben aus Belgorod 95 Kinder, von denen 35 getötet und 60 verletzt wurden.
    Das musste letztlich die Aufnahme russischer Offensivoperationen im Rahmen einer neuen Front anstatt dieses »drôle de guerre« provozieren und tat es nun auch. Denn die Lage der Einwohner der Grenzgebiete näherte sich derjenigen der Donbass-Bewohner zwischen 2014 und 2022 an. Und nun wird daraus in Washington eine Berechtigung für Kiew »gedreht«, westliche Waffen bis tief nach Russland hinein einsetzen zu dürfen. Und Berlin zieht sofort nach. Bei britischen Waffen ist das längst kein Tabu mehr, nun folgen alle anderen Satellitenstaaten, während standhafte Verweigerer wie Ungarn und die Slowakei mit Strafen rechnen müssen.
    Weitere Anpassungen werden folgen, vor allem der Einsatz von als »Freiwillige« oder »Ausbilder« getarnten regulären Einheiten aus NATO-Ländern an der Front. Dagegen erwägt Russland den Einsatz taktischer Kernwaffen – das Eskalationskarussell dreht sich also weiter. Es ist darum wirklich höchste Zeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren oder auf höchster UN-Ebene neue Verhandlungen voranzubringen!
  • Leserbrief von Horst Neumann aus Bad Kleinen (4. Juni 2024 um 12:31 Uhr)
    USA, Deutschland und andere NATO-Staaten haben der Ukraine jetzt erlaubt, westliche Waffensysteme für Fernangriffe auf russisches Territorium einzusetzen. Solche Raketen haben bereits das russische Frühwarnsystem zur Verhinderung eines Atomkrieges 1500 Kilometer von der Front entfernt angegriffen. Das bedeutet eine starke Eskalation und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Westen direkt in den Krieg mit potenziell katastrophalen Folgen eintritt. Das deckt sich mit den Zielen Selenskijs, nur nicht mit denen der Völker.
    Auch Deutschland hat sich entschieden, diesen Schritt in Richtung dritten Weltkrieg mitzugehen. Vor ein paar Tagen wurde hier 75 Jahre Grundgesetz gefeiert, in dessen Präambel zwar steht, dass Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen will, doch das spielt wohl nach 75 Jahren keine Rolle mehr. Gleiches gilt wohl auch für Artikel 26 (1) – Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören (…), sind unter Strafe zu stellen.
    Obwohl man in der westlichen Propaganda Russland jede Niederträchtigkeit zutraut, gehen westliche Militärs und Politiker davon aus, dass es von Russland keine Reaktion auf die Ausweitung der NATO Beteiligung am Krieg geben wird. Allerdings haben sich die genannten Eliten bisher sehr oft über russischen Aktivitäten geirrt. Es dürfte nicht unbekannt sein, dass auch Russland über Raketen verfügt, von denen manche sogar sehr schnell fliegen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (1. Juni 2024 um 20:05 Uhr)
    Voller Empörung nahm ich auch diese Kriegsmeldung wahr und stimme voll und ganz mit dem folgenden Gedicht von E.Rasmus überein: Auch heute Karl Liebknecht mahnend ruft: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land!« / Und die Mörder unter uns, wohlbekannt, / So skrupellos, daß auch das eigene brennt, / Durch Rüstungsprofit, Gier nach Macht, virulent / Haben schon zweimal die Erde verbrannt. // Ein drittes Mal heute mit Rheinmetall … siegt / Der Tod aus Berlin, der dasselbe bekriegt / Atomar, daß darinnen muß Leben verglüh‘n / Und nicht einmal Blumen auf Gräbern blüh’n / – in Lüften verstrahlt kein Vogel fliegt.

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