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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 5 / Inland
CCS

Werbung für CO2-Gesetz

Umweltsymposium des Bundes in Hamburg: Loblieder auf Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden, Risiken kleingeredet
Von Burkhard Ilschner, Hamburg
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Auch in der Nordsee soll nach den Plänen der Regierung Kohlendioxid unter dem Meeresboden gespeichert werden

Die Debatte kam termingerecht: Einen Tag bevor das Bundeskabinett den heftig kritisierten CCS-Gesetzentwurf verabschieden sollte, wurde am Dienstag in Hamburg das 33. Meeresumweltsymposium (MUS) des Bundesamtes für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) eröffnet – mit einem Schwerpunkt zu ebendiesem Thema gleich am ersten Tag. Die Abkürzung CCS steht für Carbon Capture and Storage und bezeichnet die langfristige Speicherung von Kohlendioxid unter dem Meeresboden, auch in der Nordsee.

Die schon traditionell zu nennende jährliche Veranstaltungsreihe MUS stand auch diesmal unter dem Motto »Schutz und Nutzung der Meere in Einklang zu bringen«, was bekanntlich die wirtschaftsfreundliche Interpretation des Begriffs »Nachhaltigkeit« ist. Das Meer sei als CO2-Speicher der größte Verbündete beim Klimaschutz, eröffnete Ulrike Döring vom Umweltbundesamt den Themenblock, in dem dann zwei von vier Referaten von Experten der Forschungsmission CDR-Mare bestritten wurden. Dabei handelt es sich um ein Projekt des Forschungsverbundes Deutsche Allianz Meeresforschung in Kooperation mit mehreren Firmen: Die Abkürzung CDR steht für Carbondioxide Removal (CO2-Entnahme) – und Mare für den Speicherort.

Klaus Wallmann und Andreas Oschlies vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel referierten quasi als »Missionare« des Projekts. Wallmann, seit vielen Jahren bei vielen Gelegenheiten engagierter Verfechter von CCS, skizzierte eifrig die Chancen des Verpressens von CO2 in den Meeresuntergrund. Hauptargument: Andere – Norwegen etwa – machten das schon lange. Unerwähnt blieb, dass neben vielen Experten auch Institutionen wie etwa der Europäische Rechnungshof Vorbehalte gegen CCS geltend gemacht haben. Deutlich wurde Wallmans Haltung unter anderem, als er zunächst verharmloste, bei eventuellen Leckagen sei der Schaden gering – um in der Folgediskussion einräumen zu müssen, wenn es »trotzdem leckt«, werde es schwierig. Oschlies assistierte in gewisser Weise, indem er alternative »meeresbasierte Methoden« einer gezielten CO2-Entnahme vorstellte, aber überwiegend kleinredete. Wallmann musste aber zugeben, dass die CCS-Verfahren immens teuer würden.

Im Mittelpunkt des zweiten Symposiumstages stand ein Problem, das nach jahrzehntelanger Ignoranz nun zwar systematisch angegangen wird, für das aber noch immer eine langfristig gesicherte Finanzierung fehlt: die Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten im Meer. Vor knapp 30 Jahren schon hatten Meeresumweltschützer das Ausmaß dieses Problems enthüllt, ihre Lösungsforderungen blieben aber amtlicherseits lange ignoriert. Seit wenigen Jahren gibt es nun zwar einen Plan, dessen Anfänge in Hamburg vorgestellt wurden: Organisierte Erkundung des Meeresgrunds zunächst in der Ost-, später in der Nordsee soll in gezielte Bergung münden, um dann die Funde in einer noch zu entwickelnden Industrieanlage gewissenhaft unschädlich zu machen. Aber obwohl die Umsetzung vielfach als »Jahrhundertaufgabe« beschrieben wird, reichen bisherige Finanzierungszusagen nur bis 2026. Dabei sind längst Folgeschäden wie etwa Giftbelastung von Fischen bekannt, beim MUS wurden einige präsentiert.

Das auch 2024 wieder gut besuchte MUS – bis zu 900 Teilnehmer einschließlich der gemeldeten Online-Registrierungen – war von dem Wissenschaftsjournalisten Dirk Steffens mit einem Leitvortrag eröffnet worden. Ohne Emotionen, so sein Appell, blieben Fakten häufig wirkungslos, man müsse die zu vermittelnden Wahrheiten in gute Erzählungen kleiden, um sie »rüberzubringen«. Er lieferte dafür zwar mehrere plastische Beispiele, für die er mit viel Beifall belohnt wurde. Das Symposium selbst verlief dann zwar spannend, aber weitgehend emotionslos: Probleme mit eingeschleppten Arten, die Bestandskrise für Dorsch und Hering in der Ostsee, Perspektiven der Offshore-Windkraft und anderes mehr. Nur der originelle Science-Slam-Wettbewerb sorgte abschließend für unterhaltsame Aufmischung.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (1. Juni 2024 um 15:49 Uhr)
    Lesetipp: https://isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5248-der-bundeskabinetts-beschluss-zu-kohlendioxid-speicherung-ccs-ein-umwelt-holzweg
  • Leserbrief von Hagen Radtke aus Rostock (31. Mai 2024 um 22:44 Uhr)
    Herr Ilschner greift hier Prof. Wallmann und Prof. Oschlies hart an, er zieht ihre wissenschaftliche Neutralität in Zweifel, sie würden die Risiken von CCS-Methoden verharmlosen. Möglicherweise ist dies ein Missverständnis, und Herr Ilschner übersieht, dass es hier zwei Risiken gegeneinander abzuwägen gilt. CO2 unter dem Meer zu verpressen ist mit Risiken behaftet, aber es wie bisher weiter in die Atmosphäre zu entlassen, ist eben auch mit großen Risiken behaftet. Vielleicht verharmlost Herr Ilschner ja unbeabsichtigt diese letzteren Risiken, sie sind aber sehr gut bekannt und treffen überproportional stark arme Menschen in Entwicklungsländern. Es geht also darum, ob eine Methode risikoarm ist im Vergleich dazu, einfach den Klimawandel weiter zu befeuern. Es ist noch dazu zu sagen: Bei der Diskussion um »Carbon Dioxide Removal« (CDR) in der wissenschaftlichen Community geht es nur um die technisch unvermeidbaren Emissionen. Es geht also nicht darum, ob wir weiter Benzinautos fahren oder mit Erdgas Wohnungen heizen wollen, dafür würde keine der diskutierten Methoden genug Potential haben. Es geht darum, ob wir z. B. weiter Zement oder Glas herstellen wollen. Wenn wir das wollen, brauchen wir ja irgendeine Antwort, wohin mit dem anfallenden CO2, und die Antwort »in die Atmosphäre« ist eben leider überhaupt nicht risikoarm.

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