Ende der Kriegsallianz?
Von Knut Mellenthin![NS-MOTHERS-PROTEST.JPG](/img/450/195569.jpg)
Der Streit in der israelischen Kriegsallianz nimmt zu. Die stärkste Opposition, das Parteienbündnis Nationale Einheit, die im dreiköpfigen Kriegskabinett durch ihren Vorsitzenden Benjamin Gantz vertreten ist, hat am Donnerstag einen Gesetzentwurf in die Knesset gebracht, der die vorzeitige Auflösung des Parlaments vorsieht. Falls dieser Antrag eine Mehrheit finden würde, müssten in den nächsten Monaten Neuwahlen stattfinden. Gantz hatte als Zeitpunkt dafür schon früher den Oktober genannt.
Der Vorstoß der Nationalen Einheit ist zunächst nicht mehr als ein Stimmungsanzeiger. Die Chancen, mit diesem Antrag durchzukommen, sind angesichts der gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse in der Knesset gering: Die Regierungskoalition kann sich auf 64 der 120 Abgeordneten stützen. Voraussetzung für einen Erfolg wäre, dass sich mehrere Parlamentarier des Likud gegen ihren Vorsitzenden, Premierminister Benjamin Netanjahu, stellen. Das ist trotz Konflikten und persönlichen Rivalitäten in der Hauptpartei der Regierung unwahrscheinlich.
Gantz, Generalstabschef der israelischen Streitkräfte (IDF) in den Jahren 2011 bis 2015, war am 11. Oktober vorigen Jahres, vier Tage nach dem Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten aus dem Gazastreifen, in das neu gebildete Kriegskabinett eingetreten. Stimmberechtigte Mitglieder dieses Gremiums sind neben ihm nur Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant, der zwar auch Mitglied des Likud ist, aber oft Kritik am Regierungschef äußert. Außerdem haben Gadi Eizenkot und Ron Dermer einen Beobachterstatus im Kriegskabinett. Eizenkot, Generalstabschef in den Jahren 2015 bis 2019, ist Mitglied der Nationalen Einheit. Ron Dermer vom Likud ist seit der Regierungsbildung im Dezember 2022 Minister für strategische Angelegenheiten und hatte davor von 2013 bis 2021 die außergewöhnlich wichtige Position des israelischen Botschafters in Washington inne.
Dass Gantz die direkte Konfrontation mit Netanjahu sucht, war schon am 18. Mai deutlich geworden, als er dem Premierminister ein Ultimatum stellte: Er und die Nationale Einheit würden sich aus der Kriegskoalition zurückziehen, falls nicht bis zum 8. Juni ihre Forderungen nach politischen und militärischen Richtungsänderungen erfüllt würden. Der Krieg im Gazastreifen habe gut begonnen, aber in letzter Zeit laufe einiges schief, begründete Gantz seinen Schritt. »Wesentliche Führungsentscheidungen zur Sicherstellung des Sieges« seien nicht getroffen worden; »eine kleine Minderheit« habe »die Kommandobrücke des israelischen Staatsschiffs übernommen und steuert es auf die Klippen zu«.
In praktischer Hinsicht scheint es Gantz vor allem um drei Punkte zu gehen: 1. Die Offenlegung der angestrebten Nachkriegsordnung im Gazastreifen, auf die auch die US-Regierung seit Monaten immer wieder drängt, ohne dabei aber erkennbaren Nachdruck zu zeigen. 2. Die Perspektive einer allgemeinen Wehrpflicht, die auch die »Ultraorthodoxen« einbezieht, deren Parteien einflussreiche Partner Netanjahus sind. 3. Die Bildung einer neuen Regierungskoalition, in der die extreme Rechte nicht mehr vertreten oder zumindest entmachtet ist. Derzeit stellt sie mit Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich die Minister für Nationale Sicherheit und Finanzen. Smotrich ist zusätzlich auch für die Zivilverwaltung und die Expansion der Siedlungstätigkeit im besetzten Westjordanland zuständig.
Der Likud reagierte scharf auf den Antrag der Gantz-Partei: Mitten im Krieg brauche Israel Einigkeit, nicht Spaltung. Die Auflösung der »Einheitsregierung« – die es in Wirklichkeit nicht gibt, gemeint ist die Kriegsallianz mit dem stärksten Oppositionsbündnis – wäre »eine Belohnung für (Hamas-Chef) Sinwar, eine Kapitulation vor dem internationalen Druck und ein tödlicher Schlag für die Bemühungen, unsere Geiseln freizubekommen«, hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme der Partei. In einer Erwiderung warf die Nationale Einheit Netanjahu vor, er habe die Auflösung der Regierung zu verantworten, weil er »sein persönliches Interesse vor das nationale Interesse« stelle.
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