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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Architektur

Wunde im Zentrum der Stadt

Eine Sonderausstellung im Berliner Humboldt-Forum über den Palast der Republik und seine Bedeutung
Von Martin Küpper
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Der Palast der Republik in der Sonne des Jahres 1977

Gebäude und Menschen gehören zusammen, sie können nicht sehr lange ohne einander auskommen. Wird ein funktionstüchtiges, mehr oder minder populäres Gebäude geschlossen und abgerissen, scheidet das die Geister. Als im September 1990 der »Palazzo Prozzo« von der Regierung der DDR geschlossen wurde, war den Beteiligten nicht klar, dass sie einen langanhaltenden Streit um die architektonische, städtebauliche und kulturelle Bedeutung des Palastes in Gang gesetzt hatten. Freilich hat die Dringlichkeit der Fragen des Umgangs mit dem Palast abgenommen, an seiner Stelle steht nun das Humboldt-Forum. Das hält aber den Förderverein Palast der Republik e. V. nicht davon ab, Geld zu sammeln, um das Gebäude in seinem Zustand von 2005 wieder aufzubauen. Hat der Palast eine Zukunft?

In der aktuellen Sonderausstellung im Berliner Humboldt-Forum mit dem mehrdeutigen Titel »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart« wird noch nicht über die Zukunft gesprochen, dafür aber um so mehr über die Vergangenheit. In zwei größeren Räumen sind Zeichnungen, Kunst­werke, Fotografien, Audio- und Videomaterial sowie Fragmente von Originalobjekten zu sehen. Das Material zeugt von den Farben und Formen des Interieurs sowie der Akustik, die dort herrschte. Man kann ihn sogar riechen. Eine Insel Pflanzenkübel verströmte den Duft von Hyazinthen im Foyer, zumindest im Frühling. Großartig wirken die letztlich nicht finalisierten Wettbewerbsbeiträge für den Palast, etwa vom Architekten Werner Rösler. Die berühmte »Gläserne Blume« wurde hingegen nicht restauriert. So wie sie seit 1999 im Depot liegt, wird sie präsentiert. Das ist symptomatisch für den Umgang mit Kunst aus der DDR und sorgt für Unmut im Gästebuch. Würde man mit einem Trip­tychon von Albrecht Dürer genauso verfahren?

Die Objekte bilden auch nicht den Mittelpunkt der eher eventartig ausgerichteten Ausstellung. Workshops, Gespräche und ein Theaterstück flankieren sie. Nicht zuletzt wird Partizipation großgeschrieben. In der Ausstellung darf gebastelt, gemalt und Meinung kundgetan werden. Das Gefühl wird vermittelt, man könne mitsprechen. Folgen hat das keine. Die Ausstellungsmacher wollen »Impulse setzen und zum Dialog anstiften, sie möchten eher Fragen aufwerfen als abschließende Antworten geben«. Das ist wohlfeil, weil die bundesrepublikanische Antwort auf den Palast bereits auf dessen Fundamenten thront. »Hätte der Palast der Republik weiter genutzt werden sollen?« wird an einer Stelle gefragt. Auf kleinen Karten darf man replizieren. Die meisten schreiben: »Ja!«

Die Dialogbereitschaft hat jedoch Grenzen. Die Frage, ob der Palast ein Ort der Demokratie war, wird nicht zur Diskussion gestellt. In knappen Worten wird vom 7. Oktober 1989 berichtet, als man zu den Feierlichkeiten des 40. Jahrestages Protestrufe von etwa 3.000 Demonstranten im Palast hörte. »Tausende« seien im Zuge der Demonstration in »vorbereitete Lager« gekommen, heißt es dort ungenau. Laut Bundeszentrale für politische Bildung seien allerdings bei den von heftiger Polizeigewalt begleiteten Protesten vom 7. und 8. Oktober »mehr als 1.000 Männer und Frauen zugeführt« und viele von ihnen in Polizeireviere, Haftanstalten und »in ein provisorisch eingerichtetes Internierungslager« gebracht worden, ein als Kaserne genutztes Objekt der Volkspolizei-Bereitschaften. Auch die sogenannte Schlossplatzdebatte nach 1990 wird nur ungenügend rekonstruiert. Benannt werden zwar Akteure wie der Förderverein Berliner Schloss e. V., der zum Beispiel eine hohe Spende vom erzreaktionären Bankier Ehrhardt Bödecker erhielt. Die durch solche Finanzspritzen unterstützte, rückwärtsgewandte Agenda des Vereins wird jedoch nicht näher beleuchtet.

Stark ist die Ausstellung dort, wo diejenigen zu Wort kommen, die am Bau beteiligt waren, dort arbeiteten oder besondere Erinnerungen mit dem Ort verbinden. In ihren Beiträgen, wie denen der Künstlerin Gertraude Pohl, wird deutlich, wie schwierig die Realisierung und Nutzung politisch, materiell und ästhetisch war. Diese Stimmen offenbaren aber auch, dass das Konzept eines »bewusst als offenes Haus« entworfenen Kulturpalastes und Parlamentsgebäudes aufging. Der Ausstellung gelingt es nicht, diese Perspektive angemessen einzufangen, die Erfahrungen stehen so unverbunden nebeneinander wie die fragmentierten Objekte. Einmal mehr wird ersichtlich, dass das Humboldt-Forum eine Narbe ist, unter der die Wunde immer noch blutet, die der Abriss des Palastes hinterlassen hat. Das wird vor allem im ersten Raum augenfällig, wo zahlreiche Besucher an den bronzefarbenen Tafeln dazu aufrufen, die politischen Fehler im Umgang mit dem Palast beim SEZ in der Landsberger Allee nicht zu wiederholen.

»Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart«, Humboldt-Forum, bis 16. Februar 2025

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