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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
USA und NATO gegen China

»Die westliche Einmischung im Westpazifik muss aufhören«

Über Drohgebärden gegenüber China, US-geführte Machtdemonstrationen und Australiens Rolle in der Region. Ein Gespräch mit Annette Brownlie
Interview: Rüdiger Göbel
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Die USS »Abraham Lincoln« in Formation während der Kriegsübung »Rim of the Pacific« (Honolulu–San Diego, 28.7.2022)

Die Nordatlantische Vertragsorganisation, NATO, wird auf ihrem Washingtoner Gipfel im Juli nicht nur ihre Gründung vor 75 Jahren feiern, sondern vor allem ihren weltweiten Machtanspruch verbunden mit der Ausdehnung der NATO nach Asien festschreiben. Sehen Sie die »globale NATO« als Beitrag für die Sicherheit Australiens, das ja über den 2021 gegründeten AUKUS-Pakt mit den NATO-Mitgliedern USA und Großbritannien militärisch verbunden ist?

Aus der Perspektive von IPAN, unserem Netzwerk für ein unabhängiges und friedliches Australien, sehen wir, dass dieser versuchte Vormarsch der NATO nach Ostasien China provoziert und damit das Risiko einer größeren militärischen Konfrontation zwischen China und denjenigen erhöht, die mit den USA verbündet sind. Australien zählt bekanntlich zu den »Wertepartnern« der NATO und hat seit 2014 als eines von vier Ländern den Sonderstatus als »Partner mit erweiterten Chancen« – »Enhanced Opportunities Partner«.

Die US-Regierung unter Präsident Joseph Biden kündigte im Zusammenhang mit der Gründung von AUKUS 2021 an, Australien den Kauf von atombetriebenen U-Booten zu ermöglichen, »um Sicherheit und militärische Abschreckung im Indopazifik zu stärken«. Der Militärpakt richtet sich zweifellos gegen China, das als »militärische Bedrohung im Indopazifik« gewertet wird. Wer fühlt sich in Australien von der Volksrepublik wie bedroht?

In den vergangenen fünf, sechs Jahren wurde mantragleich wiederholt, wie bedrohlich China für Australien sei. Ihren Höhepunkt erreichte diese Erzählung während der Amtszeit der vorherigen Regierung unter Premierminister Scott Morrison. Das verfing bei vielen Menschen. Dazu nur eine kleine Anekdote: Ich fragte einmal einen jungen Mann in einem Zeitungskiosk, als mal wieder eine negative Schlagzeile über China auf den Titelseiten prangte, was er davon halte. Er meinte, er sei bereit, sich als Freiwilliger zu melden, falls China in Taiwan einmarschieren sollte. Mit dem Amtsantritt der Labor-Regierung 2022 hat sich die Hysterie etwas gelegt. Das Kabinett von Premier Anthony Albanese leistet viel diplomatische Arbeit, um die Beziehungen zu China wieder aufzubauen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die meisten Australier eine Beteiligung Australiens an Militäraktionen wegen Taiwan ablehnen.

Wir dürfen nicht vergessen, China ist Australiens wichtigster Handelspartner. Viele Arbeitsplätze in Australien hängen am Export von Mineralien nach China. Der Rohstoffverkauf beschert dem Land erhebliche Einnahmen. Andererseits ist Australiens politische Führung beider großer Parteien durch die »Australia America Alliance« und jetzt durch AUKUS sklavisch an die US-Außenpolitik gebunden. Selbstverständlich bleibt China kritisch. Aber aufgrund der verbesserten Beziehungen unter der Labor-Regierung übt China weniger öffentlich Kritik an AUKUS.

Wie sieht die sogenannte trilaterale Sicherheitspartnerschaft zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika konkret aus?

AUKUS steht ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit, vor allem weil Verteidigungsminister Richard Marles die Installation von Waffensystemen und anderem militärischem Material in verschiedenen Teilen Australiens ankündigt. Im Northern Territory, NT, ist der militärische Ausbau am stärksten. Hier werden die Start- und Landebahnen am Luftwaffenstützpunkt Tindal erweitert, um die Stationierung atomwaffenfähiger B-52-Bomber zu ermöglichen. Trotz der Betonung der Regierung, keine Atomwaffen auf australischem Territorium zuzulassen, hat Außenministerin Penny Wong erklärt, dass sie die Bedingungen der USA akzeptiert, die weder bestätigen noch dementieren werden, ob ihre Schiffe oder Flugzeuge Atomwaffen an Bord haben.

Das AUKUS-Abkommen hat zwei Säulen. Erstens: Die USA haben sich bereit erklärt, Nukleartechnologie für den Bau von Reaktoren in künftigen australischen U-Booten bereitzustellen. Australien wird der britischen Industrie in den nächsten zehn Jahren fast fünf Milliarden US-Dollar für die Entwicklung und Produktion von Kernreaktoren zur Verfügung stellen, die schließlich in die in Adelaide gebauten AUKUS-U-Boote montiert werden sollen.

Innerhalb der zweiten Säule gibt es mehrere Arbeitsgruppen, die Bereiche wie künstliche Intelligenz, Hyperschallraketen und Quantentechnologien abdecken. Australische Universitäten werden für die Ausbildung von qualifizierten AUKUS-Arbeitskräften in MINT-Fächern finanziert. Dies geht auf Kosten anderer Bildungsbereiche wie der Geisteswissenschaften. In diesem Bereich wurden auch Neuseeland und Japan eingeladen, sich AUKUS anzuschließen.

Wie die Ampel in Deutschland will auch Australiens Regierung die Militärausgaben in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Geplant ist die Aufrüstung der australischen Marine, des Heeres und der Luftwaffe, aber auch der Bereiche Weltraum und Cyberspace.

Allein der AUKUS-Deal zur Anschaffung atomgetriebener U-Boote kostet Australien in den nächsten 30 Jahren 368 Milliarden US-Dollar. Dagegen regt sich erheblicher Widerstand. Diese enormen Mittelzuweisungen für den Militärhaushalt kommen zu einer Zeit, in der die Lebenshaltungskosten dramatisch steigen, darunter die Mieten und die Hypothekenzinsen sowie die Preise bei Energie und in den Gesundheitsdiensten.

Im Zuge der globalen Blockbildung sind die USA bemüht, im Pazifikraum Allianzen gegen China zu schmieden. Tokio ist ein wichtiger Partner Washingtons, allein schon wegen der strategisch wichtigen US-Stützpunkte auf japanischem Territorium. Welche Rolle kommt Japan in der künftigen militärischen Kooperation zu?

Die USA wollen Japan unbedingt einbinden. Es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um an einer gemeinsamen militärischen Ausbildung zu arbeiten. Es ist wahrscheinlich, dass Japan bei der zweiten Säule von AUKUS rund um künstliche Intelligenz, Raketen, Quantentechnologie und Cyberspace zusammenarbeiten wird.

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Seit Jahrzehnten in der australischen Friedensbewegung aktiv: Annette Brownlie (Dublin, 17.11.2018)

Mit »Rim of the Pacific Exercise«, kurz Rimpac, findet in diesem Sommer die größte bilaterale Militärübung zwischen Australien und den USA statt. An dem Manöver soll auch die Bundeswehr mit zwei Kriegsschiffen teilnehmen. Wie verhält sich die australische Friedensbewegung zu dieser Machtdemonstration?

Das Manöver Rimpac findet alle zwei Jahre im Wechsel zu »Talisman Sabre« in Australien statt. Mittlerweile sind an den Militärübungen auch Länder aus Europa und Ostasien mit über 20.000 Soldaten beteiligt. Interessanterweise wollte Indien im vergangenen Jahr an »Talisman Sabre« teilnehmen, hat sich dann aber doch zurückgezogen. Wir protestieren regelmäßig gegen diese Großmanöver, mit denen gezielt auf einen Krieg gegen China hingearbeitet wird.

Glaubt man der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen und der Ampelregierung insgesamt, dann wird der regionale Frieden im asiatisch-pazifischen Raum durch China bedroht. Wie sehen Sie das beim »Independent and Peaceful Australia Network«?

Ich kann es nur noch einmal betonen: Australien wird von China nicht bedroht. China ist unser wichtigster Handelspartner. Es ist uns als Friedensbewegung gelungen, das Narrativ, China bedrohe Australien militärisch, in Frage zu stellen. Es gibt mittlerweile erhebliche Kontroversen. Leute wie Professor Hugh White befördern die Debatte …

Der gehört zu den großen strategischen Denkern Ihres Landes und hat mit einem fesselnden Essay »Schlafwandeln in den Krieg. Australiens unreflektierte Allianz mit Amerika« (Originaltitel »Sleepwalk to war«) in der Zeitschrift Quarterly Essay 2022 die verhängnisvolle Entscheidung der australischen Regierung untersucht, die USA bis zum Äußersten zu unterstützen und sich gegen China zu stellen.

Es ist doch interessant festzustellen, dass der Handel und die Zusammenarbeit zwischen den meisten südostasiatischen Ländern und China lebendig und gut verlaufen.

Das chinesische Militär hat in der vergangenen Woche in einem zweitägigen Manöver um Taiwan mit Marineschiffen und Kampfflugzeugen die »Fähigkeit zur gemeinsamen Machtübernahme, zu gemeinsamen Angriffen und zur Kontrolle von Schlüsselgebieten« getestet, wie Beijing mitteilte. Dies sei in Reaktion auf »separatistische Handlungen« in Taipeh erfolgt. Wie begegnen Sie als Friedensbewegung den Sorgen vieler Menschen vor einer militärischen Eskalation in dem Konflikt?

Die Gefahr eines militärischen Konflikts um Taiwan gibt Anlass zu großer Sorge, da die Gefahr besteht, dass dieser zu einem dritten Weltkrieg eskaliert. Wir in der australischen Friedensbewegung fordern unsere Regierung auf, ihre Position zu bekräftigen, dass Taiwan ein Teil Chinas ist, und sich von den provokanten Luft- und Seeübungen in der Region zurückzuziehen. Australien kann in der Region eine positive Rolle spielen, wenn wir unsere Außenpolitik von der der USA trennen können.

Die Bundesregierung setze sich auch im sogenannten Indopazifik für die Einhaltung internationalen Rechts ein, betont das deutsche Außenministerium und verweist dabei auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, UNCLOS. Dieses völkerrechtliche Regelwerk enthält Bestimmungen für alle Aktivitäten auf den Meeren. Ihm sind die USA bisher nicht beigetreten. Ministerin Baerbock hatte von ihrer Ozeanienreise aus die mögliche »Präsenzfahrt« der Fregatte »Baden-Württemberg« in die Straße von Taiwan in Aussicht gestellt. Dabei kann die Regierung in Berlin nicht sagen, ob und gegebenenfalls welchen deutschen Schiffen in den vergangenen zwei Jahren die Durchfahrt dort verwehrt wurde, wie aus der Antwort auf eine Anfrage der BSW-Abgeordneten Sevim Dagdelen hervorgeht. Sind derlei militärische Muskelspiele gegen China ein Beitrag zur Sicherheit Australiens?

Definitiv nicht. Die westliche Einmischung im Westpazifik muss aufhören. Wir von IPAN sind der Meinung, dass der beste Ausgang der Spannungen um Taiwan durch friedliche Verhandlungen und Zusammenarbeit erreicht werden kann. Die Anwesenheit von Marineschiffen und Kampfjets aus fernen »westlichen« Ländern in der Region ist eine Provokation, die die Sicherheit Australiens und der ganzen Region bedroht. Australien hat in den vergangenen Jahren seine Partnerschaft mit den Philippinen ausgebaut und sich an Marineübungen um die strittigen Inseln im Südchinesischen Meer beteiligt. So hatte Premierminister Albanese am 8. September 2023 in Manila eine neue strategische Partnerschaft mit den Philippinen unterzeichnet. Die Zeremonie bildete den Höhepunkt einer einjährigen Charmeoffensive, um die prowestliche Regierung von Ferdinand Marcos Jr. für sich zu gewinnen.

Mit den Worten »Genug ist genug« fordert Australiens Regierungschef Anthony Albanese die Freilassung des Journalisten und Wikileaks-Gründers Julian Assange, der seit 14 Jahren seiner Freiheit beraubt und seit fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, quasi dem »britischen Guantanamo«, inhaftiert ist. Mit einer weiteren Inhaftierung sei nichts gewonnen, sagte Australiens Premier, nachdem der High Court in London am 20. Mai entschieden hat, dass Assange, der australischer Staatsbürger ist, gegen seine drohende Auslieferung an die USA noch einmal in Berufung gehen kann. Der Journalist ist in den USA wegen Spionage angeklagt, weil er unter anderem Kriegsverbrechen der US-Armee in Irak und Afghanistan sowie das globale Folterprogramm der CIA publik gemacht hat. Im Fall seiner Auslieferung drohen ihm 175 Jahre, also Gefängnis bis zum Tod. Wäre es hilfreich für Australien, wenn sich die Verbündeten, die Regierungschefs der NATO-Staaten, bei US-Präsident Biden für ein Ende der Verfolgung von Julian Assange stark machen, etwa beim NATO-Gipfel in Washington, bei dem ja wieder Menschenrechte und Demokratie beschworen werden dürften?

Das wäre wirklich sehr wichtig und eine passende Gelegenheit, wenn die Regierungschefs der NATO-Staaten entsprechend aktiv werden und mit Demokratinnen und Demokraten auf der ganzen Welt helfen, Biden dazu zu bringen, das Auslieferungsverfahren zu stoppen und die Verfolgung von Assange ein für allemal zu beenden. Am 15. Februar hatte Premierminister Albanese für einen Antrag im Unterhaus des Parlaments gestimmt, der die Rückkehr des Wikileaks-Gründers nach Australien fordert. Assange und die Geschichte von Wikileaks sind uns allen wohlbekannt, und wirklich die meisten Bürger Australiens fordern seine Freiheit.

Ich kann deshalb die Friedensbewegung in Deutschland und Europa nur ermutigen, sich ebenfalls für die Freiheit von Julian Assange einzusetzen. Ich bin dankbar, dass ich gerade Gelegenheit erhielt, mich in Berlin auf Einladung des Internationalen Friedensbüros mit anderen Kriegsgegnern auszutauschen. IPAN ist sich der Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit bei der Suche nach einer friedlichen, gemeinsamen Sicherheit für die Menschheit bewusst.

Annette Brownlie ist an führender Stelle aktiv in der australischen Friedensbewegung und befasst sich schwerpunktmäßig mit geostrategischen Entwicklungen im Pazifikraum. Sie ist aktiv im Protest gegen den Militärpakt AUKUS, dem Australien, Großbritannien und die USA angehören, sowie gegen die aktuelle Hochrüstung Australiens. Brownlie ist seit 2013 Vorsitzende des »Independent and Peaceful Australia Network« (IPAN) und außerdem Mitbegründerin des »Pacific Peace Network«. Sie war in der vergangenen Woche auf Einladung des Internationalen Friedensbüros, dessen Vorstand sie seit 2022 angehört, zu politischen Gesprächen in Deutschland

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Juni 2024 um 21:51 Uhr)
    Der Titel »Die westliche Einmischung im Westpazifik muss aufhören« ist geografisch irreführend und politisch problematisch. Aus Sicht der Länder in Ostasien wie China und Japan liegt diese Region östlich, also in ihrem eigenen »Ostpazifik«. (siehe Datumsgrenze). Die westliche Terminologie verschleiert jedoch die geografische Realität und rechtfertigt mögliche Einmischung. Der sogenannte »Westpazifik« ist in Wahrheit der östliche Einflussbereich Asiens – ein Gebiet, in dem westliche Mächte nichts verloren haben. Die Sonne mag im Westen untergehen, doch sie geht im Osten auf, wo die Souveränität der Nationen respektiert werden muss!

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