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Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Freihändig

Von Arnold Schölzel
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Wochenlang empörtes Bohei im Mediengestrüpp: Kiew darf nicht mit westlichen Waffen nach Russland hineinschießen. Verrat. Noch am Freitag ereifert sich Clemens Wergin in der Welt, es sei höchste Zeit, »dass sich das ändert und wir der Ukraine ermöglichen, diesen Krieg nicht weiter mit einer festgebundenen Hand führen zu müssen«.

Er hatte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nicht gelesen. Die berichtete am Donnerstag als erste deutschsprachige »Qualitätszeitung« nicht nur über die beiden Drohnenangriffe der ukrainischen Armee auf Frühwarnsysteme der strategischen russischen Atomraketenabwehr (siehe jW vom 28.5.), sondern von einer ganzen Angriffsserie Kiews. Titel: »Angriffe auf Russlands militärische ›Augen‹. Mit den neu eingetroffenen Atacms-Raketen schlägt die Ukraine erfolgreich zu – Priorität haben die feindlichen Radaranlagen.« Laut NZZ-Korrespondent Andreas Rüesch hatte Kiew »in den letzten Tagen« seine »Schläge im russisch kontrollierten Hinterland verstärkt«. Auffällig sei dabei, dass sich die Serie vor allem gegen die »Augen« der russischen Militärmacht richteten, gegen Radaranlagen und die damit verbundenen Einrichtungen der Flugabwehr. Rüesch: »Mindestens ein Dutzend bedeutsame Angriffe auf solche Anlagen haben sich seit dem 20. April ereignet, die Hälfte davon innerhalb der letzten sieben Tage.« Russland habe »schwere Verluste erlitten«.

Rüesch zählt auf: In der vergangenen Woche Zerstörung eines Abwehrsystems vom Typ S-400 »in der Provinz Donezk« durch eine mit Streumunition bestückte US-»Atacms«. Dieselbe Rakete sei in der Nacht zum Dienstag am Rande von Lugansk gegen Radaranlagen vom Typ »Nebo-M« eingesetzt worden, mit denen Flugbewegungen auf 600 Kilometer Entfernung zu erkennen seien. Außerdem: Zerstörung von zwei S-400 sowie einer Radaranlage auf der Krim, Versenkung der Korvette »Ziklon« im Hafen von Sewastopol sowie die erwähnten Attacken auf die strategischen Frühwarnsysteme in Südrussland und im Südural. Rüesch: »Offensichtlich geht es darum, dem Kreml zu demonstrieren, dass die ukrainischen Drohnen Russland auch auf strategischer Ebene schaden können.«

Anders gesagt: Kiew hat sich freihändig wochenlang auf russische Ziele eingeschossen und alle angeblich vom Westen gesetzten roten Linien überschritten, als es Radaranlagen angriff, die Richtung Nahost und China ausgerichtet sind und mit dem Ukraine-Krieg nur aus der Sicht derjenigen zu tun haben, die alles Militärische in Russland als Ziel betrachten.

Das ist in Kiew der Fall – in einem Maß, dass am Mittwoch die Washington Post titelte: »USA besorgt über ukrainische Schläge gegen russische Atomradarstationen«. Die Zeitung zitierte einen US-Regierungsvertreter, der erklärt habe, dass die Radarstationen nicht zur Unterstützung des russischen Krieges in der Ukraine genutzt worden seien. Am Freitag folgte – nach mehr als einer Woche Schweigen fast der gesamten deutschen Bürgerpresse – das Internetportal der FAZ, faz.net, mit der Überschrift: »Kiews Erfolge, die Washington Sorgen bereiten«. Die Autoren des Beitrags zitieren einen in der Bundesrepublik lebenden russischen Militärfachmann. Er nehme an, »dass Kiew mit den Angriffen versuche, die westliche Diskussion über eine Aufhebung der Waffeneinsatzbeschränkungen zu beeinflussen, mit der Botschaft, man sei schon jetzt in der Lage, sich in russisch-amerikanische Belange einzumischen«. Der faz.net-Artikel erschien kurz nachdem Joseph Biden einige Beschränkungen fürs Hineinschießen nach Russland aufgehoben hatte, Berlin folgte umgehend.

Der Schwanz hat erfolgreich mit dem Hund gewackelt. Russland drohte am Freitag mit »asymmetrischen Antworten«. So klappt es mit dem nächsten Weltkrieg.

Kiew hat sich freihändig wochenlang auf russische Ziele eingeschossen und alle angeblich vom Westen gesetzten roten Linien überschritten, als es Radaranlagen angriff, die Richtung ­Süden ausgerichtet sind

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (3. Juni 2024 um 09:14 Uhr)
    Das Zitat: »Der Schwanz hat erfolgreich mit dem Hund gewackelt« widerspricht komplett dem Narrativ, dass die Ukraine ein Spielball der NATO wäre! … Was stimmt denn nun?
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Juni 2024 um 13:05 Uhr)
    Ach, wo sind sie nur hin, die goldenen Zeiten, als die Welt noch einfach und ehrenhaft war! Damals, als verfeindete Armeen am Rand des Schlachtfeldes standen und zusahen, wie ihre Anführer im glorreichen Zweikampf auf Leben und Tod alles entschieden. Die Sieger schritten triumphierend heim, während die Verlierer sich still in ihre Zelte zurückzogen – keine sinnlose Gewalt, keine zivilen Opfer. Ja, wenn doch heute alles so einfach wäre! Stellen wir uns vor: Joe Biden, mit seinem stahlblauen Blick und festem Händedruck, tritt gegen Wladimir Putin an, dem Meister des Judos und Schachspiels. Live aus einem ukrainischen Acker übertragen, vielleicht moderiert von einem überdrehten TV-Kommentator. Aber halt, wir dürfen die heimischen Helden nicht vergessen! Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Königin der Verteidigungspolitik, Annalena Baerbock, die Verteidigerin der Menschenrechte, und der unermüdliche Anton Hofreiter. Sie, die nie ein Gewehr in der Hand hatten, könnten endlich ihre rhetorischen Fechtkünste in echte Duelle verwandeln. Auf der Gegenseite: ihre Pendants aus fernen Landen, bereit, die intellektuellen Schlachten auf den Feldern des Ruhmes auszufechten. Für alle, die sich nach Krieg und Gewalt sehnen, hätten wir spezielle Arenen. Dort könnten sich die willigen Krieger treffen und sich gegenseitig ihr heiß ersehntes »Abenteuer« bieten. So könnten wir sicherstellen, dass nur diejenigen leiden, die es auch wirklich wollen. Die anderen könnten in der Zwischenzeit ihre Energie darauf verwenden, etwas Sinnvolles zu tun – wie etwa Friedensverhandlungen oder eben Weltrettung.

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