75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Mittwoch, 3. Juli 2024, Nr. 152
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 01.06.2024, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
D-Day

Alter Bekannter in der Normandie

80 Jahre D-Day: In den Museen zur alliierten Invasion trifft man auf Bomber und einen Nazi, der Karriere in der BRD machte
Von Rudolf Stumberger
»Utah Beach« (Pouppeville-La Madeleine) war der erste Küstenabschnitt, den die alliierten Streitkräfte am 6. Juni 1944 einnehmen konnten
Das »Utah Beach Landing Museum« befindet sich an der Stelle, an der damals 23.000 Mann von den alliierten Landungsschiffen ausgespuckt wurden
Modell eines Wehrmachtskommandostands: Das »D-Day Experience«-Museum in ­Carentan-les-Marais soll Geschichte erfahrbar machen

»Krieg ist keine Show« steht in gelber Farbe auf einen Betonklotz in der Normandie gesprüht. Geradeaus führt die Küstenstraße in zwölf Kilometern nach Sainte-Mère-Église, wovon später noch die Rede sein wird. Rechts des Klotzes rollen die Wellen des Ärmelkanals an den Strand. Von hier ist es nicht weit zum »Utah Beach«, dem ersten Küstenabschnitt, der am 6. Juni 1944 von den alliierten Streitkräften eingenommen wurde. 80 Jahre ist es nun her, dass mit dem »D-Day« in Europa eine zweite Front gegen Hitlers Wehrmacht eröffnet wurde. Der Besucherandrang in den Dutzenden von kommerziellen Kriegsmuseen hier in der Region wird groß sein, denn in ihnen ist Krieg eben doch eine Show. Und in einem dieser Museen bin ich einem alten Bekannten begegnet: Oberstleutnant Friedrich August Freiherr von der Heydte. Er, SA- und NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, war im Nachkriegsdeutschland eine zentrale Person antidemokratischer Netzwerke und löste 1962 die »Spiegel-Affäre« aus.

Die diversen Museen entlang der Küste haben eine kommerzielle Erinnerungskultur etabliert, die sich gerne an dem Geschmack der US-amerikanischen Geschichtstouristen orientiert, die es hier reichlich gibt: Waren es doch US-Soldaten, die mit großen Opfern unter dem Feuer deutscher Geschütze anlandeten. Das größte Museum der Region, das »Utah Beach D-Day Landing Museum«, steht an der Stelle, an der einst 23.000 Mann von den Landungsschiffen ausgespuckt wurden und sich zum Strand vorkämpften. Auf verschiedenen Ebenen werden die Ereignisse des 6. Juni ziemlich detailliert behandelt, mit Zeittafeln, Kartenmaterial und historischem Kriegsgerät wie einem ausgestellten B-26-Bomber der US Air Force oder einem Landungsschiff.

Viel Kriegsgerät

Andere Museen wie das »D-Day Wings Museum« nahe Bayeux bieten eine eher bunt zusammengewürfelte Ausstellung von Exponaten, oft handelt es sich um die Überreste von abgeschossenen beziehungsweise abgestürzten Bombern und Kampfflugzeugen, hier ein ausgegrabener Motor, da die Reste einer Flugzeugkanzel. Etliche haben gar nichts mit dem D-Day oder der Normandie zu tun. Dafür dürfen Kinder sich für einen Aufpreis von zehn Euro in den Geschützturm einer »Fliegenden Festung« setzen.

Gleich zwei Museen haben die Luftlandetruppen der Alliierten zum Thema. In der Kleinstadt Sainte-Mère-Église fand am D-Day eine Landung der US-amerikanischen Fallschirmjäger statt, einer davon soll am Kirchturm des Ortes mit seinem Fallschirm hängengeblieben sein. Auch heute noch zieren ein Stoffrest und eine Puppe den Turm, während alle Läden rund um den Marktplatz irgendwelche kriegerische Dinge an die Touristen verkaufen. Das hiesige »Airborne-Museum« zeigt Flugzeuge und Ausrüstung der »Paratroopers«.

Im »D-Day Experience«-Museum in Saint-Côme-du-Mont kann man sich sogar in ein Transportflugzeug Douglas C-47 beziehungsweise dessen Attrappe hineinsetzen und sich durchschütteln lassen. Ansonsten werden großflächige Dioramen mit lebensgroßen Soldatenpuppen und viel Kriegsgerät gezeigt. Zum Museum gehört auch ein altes Wohnhaus an einer Straßenkreuzung mit dem Namen »Toter-Mann-Kreuzung« (Dead Man’s Corner), weil hier während der Kämpfe tagelang ein zerschossener US-Panzer lag, dessen tote Besatzung nicht geborgen werden konnte. Im Haus selbst gibt es wieder viele Waffen zu sehen – und auch ein Diorama mit deutschen Soldaten. Es zeigt offensichtlich einen Kommandostand. An einem Tisch mit Landkarte sitzt ein bebrillter deutscher Offizier in Uniform, aber mit Krawatte. Und aus einem Lautsprecher schnarrt eine blecherne Stimme irgendwas von »Durchhalten«. Diese Stimme, so kann man dort lesen, gehört dem Oberstleutnant Friedrich August Freiherr von der Heydte, der deutsche Fallschirmjäger kommandierte.

Damit könnte man es auch sein lassen und sich draußen vor dem Museum einen Hotdog von der Imbissbude gönnen, zöge sich nicht ein historischer Faden von diesen D-Day-Kämpfen hin zu der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Denn wie sehr das Klima in Westdeutschland bis in die 1960er Jahre hinein auch von reaktionären und ultrakonservativen Netzwerken geprägt wurde, lässt sich eben genau anhand der Person von Oberstleutnant a. D. Friedrich August Freiherr von der Heydte nachvollziehen: Er war in den 1950er Jahren eine zentrale Person rechter, antikommunistischer und antidemokratischer Netzwerke und löste 1962 mit seiner Anzeige die »Spiegel-Affäre« aus, bei der auf Anordnung des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) mehrere Spiegel-Redakteure wegen Landesverrats verhaftet wurden.

Von der Heydte, 1907 in München geboren, erlebte eine »sorgenlose Kindheit«, er wird in einer Privatschule unterrichtet. Die Familie gehört den herrschenden Kreisen an, der Vater ist Major in der Königlich Bayerischen Armee. Von der Heydte tritt 1925 in die Reichswehr ein und beginnt ein Jahr später ein Studium der Rechtswissenschaft in München. 1933 wird er Mitglied in der NSDAP und bei der SA, was er in seiner Biographie geflissentlich übergeht beziehungsweise verklausuliert: »Es wäre … falsch, wenn man heute rückschauend einer Person … den Vorwurf machen wollte, dass er 1933 ›ja‹ zur neuen Herrschaft gesagt habe: Schließlich war er das Opfer einer sehr geschickten Werbung. Ich schließe mich davon keineswegs aus.« So stilisierten sich NSDAP-Mitglieder zu »Opfern«.

1935 geht er zur neugegründeten Wehrmacht und 1938 auf Brautschau, damit im Falle eines Krieges ein Stammhalter vorhanden ist. Dazu lässt er sich von einem Onkel schon mal ganz standesgemäß eine »Liste der heiratsfähigen, weiblichen jungen Adeligen in Süddeutschland« zusenden, nach einigen misslungenen »Musterproben« wird dann Gräfin Montgelas vom Schloss Egglkofen im östlichen Oberbayern rasch seine Braut.

Nazi rehabilitiert

Während des Krieges sammelt von der Heydte Auszeichnung auf Auszeichnung ein: vom Eisernen Kreuz II. Klasse 1939 bis zur Nahkampfspange II 1944. Dazwischen kämpft er für den »Führer« als Fallschirmjäger über Kreta, Nordafrika und Italien. Im Oktober 1944 lautet einer seiner Tagesbefehle als Kommandeur des 6. Fallschirmjägerregiments: »Wenn alles zusammenbricht und Welle und Welle über unserem Volk zusammenschlägt, dann wird noch ein Fallschirmjäger meines Regiments dem Schicksal trotzen und im Sturm und Ungewitter die Fahne hoch über die Fluten halten, auf der ein Wort in leuchtenden Buchstaben steht: ›Großdeutschland‹.« Er selbst ließ freilich die Fahne sinken und ergab sich bei Monschau den US-Soldaten: »Bitte sind Sie so freundlich und senden mir einen Arzt und Krankenwagen, weil ich nicht mehr gehen kann.«

Nach Kriegsgefangenschaft und Rückkehr habilitiert sich von der Heydte 1949 als Privatdozent für Staatsrecht an der Universität München. Als Staatsrechtler und Ex-NSDAP- sowie Ex-SA-Mitglied ist er dort in bester Gesellschaft. Zum Beispiel in der von Theodor Maunz: Münchner Professor für Öffentliches Recht, Verfasser eines Standardwerkes zum Grundgesetz, von 1957 bis 1964 bayerischer Kultusminister. Auch Maunz trat 1933 in NSDAP und SA ein und schrieb Sätze wie: »Nicht der Staat setzt die Gesamtheit des Rechts, sondern die völkische Lebensordnung wächst aus Blut und Boden hervor.« 1964 muss Maunz von seinem Amt zurücktreten, nachdem die couragierte FDP-Abgeordnete im bayerischen Landtag, Hildegard Hamm-Brücher, seine Nazivergangenheit publik gemacht hatte. Nach dem Tode von Maunz 1993 in München wurde bekannt, dass er lange Jahre anonyme Artikel in der rechtsradikalen National-Zeitung des Münchner Verlegers Gerhard Frey publiziert hatte.

Was Maunz wiederum mit Alfred Seidl verband, der ebenfalls Mitglied der NSDAP war, in München Jura studierte und später als Rechtsanwalt in Nürnberg Hauptkriegsverbrecher wie Rudolf Heß verteidigte. Seidl war wie Maunz Mitglied der CSU und von 1977 bis 1978 bayerischer Staatsminister des Inneren. Nach seinem Tod 1993 wurde auch seine enge Zusammenarbeit mit Frey bekannt.

Christsozial mit Orden

Auch von der Heydte tritt 1947 der CSU bei. Ins Licht der Öffentlichkeit gerät er 1956, als er als Vorsitzender der »Abendländischen Akademie« zurücktreten muss. Diese war aus der 1951 mit materieller Unterstützung des Fürsten von Waldburg-Zeil gegründeten »Abendländischen Aktion« hervorgegangen. Die Ziele dieser Aktion hatte der CSU-Politiker Gerhard Kroll in einem Manifest dargelegt. Dabei ging es um eine Art klerikale Diktatur, die anstatt des Grundgesetzes wirken sollte. Die »bunte Fülle« der Demokratie sollte durch ein einheitschristliches Weltbild ersetzt und die Prinzipien der Volkssouveränität und Gewaltenteilung sollten getilgt werden. Vorbilder sind die faschistischen Diktaturen in Portugal und Spanien. Derartig »hochverräterische« und grundgesetzfeindliche Bestrebungen riefen schließlich 1955 den damaligen Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) auf den Plan, der die Verfassungsmäßigkeit der »Abendländischen Akademie« überprüfen ließ. Der Bundesanwalt ließ ein Jahr später wissen, zwar strebe man dort eine »Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik« an, das mache aber nichts, weil a) der Organisation hochrangige Persönlichkeiten wie der damalige Bundesaußenminister Heinrich von Brentano angehörten und b) die geäußerten Ideen lediglich »utopisch« seien, und das im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Der KPD, die 1956 verboten worden war, hatte man derlei nicht zubilligen wollen.

Der Ex-SA-Mann und Exfallschirmspringer von der Heydte bleibt auf vielen Feldern aktiv. Als Privatdozent lehnt er ebenso wie die CSU das Bonner Grundgesetz ab. 1956 wird er Vorstandsmitglied des in München gegründeten Vereins »Westliches Wehrwesen«, 1958 ist er ebenfalls in München bei der Gründung des »Deutschen Kreises« dabei, 1959 bei dem Unternehmen »Rettet die Freiheit« – alles rechtskonservative und reaktionäre Gruppierungen. Ab 1955 hat er einen Lehrstuhl in Würzburg inne, wird 1958 zum Deutschen Statthalter des Ritterordens vom Heiligen Grab Jerusalem, berät die griechische Militärjunta und gründet Anfang der 1960er Jahre das »Würzburger Institut für Staatslehre und Politik e. V.« – es wird sich später im Zuge der Flick-Parteispendenaffäre als eine der Geldwaschanlagen für die CDU und CSU herausstellen.

Am 11. Oktober 1962 schreibt von der Heydte Geschichte, als er den Spiegel wegen Landesverrats anzeigt und so die »Spiegel-Affäre« auslöst. Elf Tage später wird er vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) zum General der Reserve ernannt – ein bis dahin einmaliger Vorgang. Von 1966 bis 1970 sitzt er als CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag. 1974 kann er zu seinen Kriegsorden noch den Bayerischen Verdienstorden hinzufügen, 1987 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. 1994 stirbt Friedrich-August Johannes Wilhelm Ludwig Alfons Maria Freiherr von der Heydte in Aham bei Landshut.

Ach ja, über die Kämpfe in der Normandie hat der Freiherr auch geschrieben: »Erwähnen möchte ich nur, dass ein Oberfeldwebel mit ein paar Mann einmal vier amerikanische Panzer in einigen Minuten abschoss (er erhielt dafür das Ritterkreuz) oder dass ein Spähtrupp des Regiments – mit der neu eingeführten Panzerfaust bewaffnet – mir einmal ein ganzes Bataillon der 90. US-Division in friedensmäßigem Marsch zum Frühstück servierte.«

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach Ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

Ähnliche:

  • Vorerst gescheitert: Bewaffnete SA-Mitglieder am Morgen des 9. N...
    09.11.2023

    Endstation Feldherrenhalle

    Gepäppelt mit Geldern der Industrie unternahm die NSDAP vor 100 Jahren in München einen Staatsstreich. Zum Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923
  • Umfassend geschützt: Andrea Tandler trifft zur Sitzung des Maske...
    23.08.2023

    CSU nicht erfreut

    Bayern: Prozessbeginn zu Steuerhinterziehung und Maskendeals unmittelbar vor Landtagswahl
  • Die Maskerade fällt: Ex-Justizminister Alfred Sauter, CSU, ist i...
    15.01.2022

    Amigos mit Masken

    Untersuchungsausschuss in Bayern begonnen: Deals zwischen Politikern und Unternehmern um Mund-Nase-Bedeckungen

Mehr aus: Wochenendbeilage

                                     Heute 8 Seiten extra – Beilage zum Thema: Marx in Afrika